Einige der am stärksten voreingenommenen Personen sind sich ihrer Voreingenommenheit nicht nur bewusst, sondern auch der Meinung, dass ihre Voreingenommenheit vollkommen gerechtfertigt ist und bringen sie unentschuldigt zum Ausdruck. Erinnern Sie sich an den Biochemiker und Nobelpreisträger, Tim Hunt? Er verkündete schamlos, dass Frauen nicht nur zu emotional für die Wissenschaft seien, sondern auch die wissenschaftlichen Leistungen der Männer störten. Und das ist nur 6 Jahre her.

In ähnlicher Weise ist unsere weibliche Talent-Pipeline in vielen Fällen seit Jahrzehnten mit mehr ausgebildeten Frauen als Männern gefüllt – auch hier in der Schweiz. Allerdings ist auch eine paritätische Repräsentation kein automatisches Heilmittel, da geschlechtsspezifische Vorurteile in Bereichen mit starker weiblicher Repräsentanz (z.B. in den Veterinärwissenschaften) fortbestehen, insbesondere bei denjenigen, die glauben, dass geschlechtsspezifische Vorurteile bereits beseitigt sind.

Wie können wir also echte Fortschritte bei der Gleichstellung in Organisationen erreichen?

Basierend auf den neuesten Fortschritten der Diversity-Wissenschaft und der Verhaltensökonomie deuten Erkenntnisse darauf hin, dass wir echte Fortschritte durch Verhaltensdesign erzielen könnten.

Führungskräfte und Organisationen können Design-inspirierte Ansätze für verschiedene Entscheidungs- und Anwendungsgebiete implementieren, obwohl die frühe Karrierephase vielleicht die kritischste ist, da wir zu diesem Zeitpunkt die meisten unserer ausgebildeten weiblichen Talente in bezahlter Beschäftigung verlieren. Es können mehrere Schritte unternommen werden:

  • Bei der Rekrutierung erhöht die Einführung längerer Listen in der Vorauswahl die Berücksichtigung weiblicher Kandidatinnen, insbesondere in männerdominierten Bereichen (z.B. Technik).
  • Blinde Bewerbungen oder Vorstellungen im Rahmen der Personalauswahl können vielversprechend sein, um geschlechtsspezifische Auswahlentscheidungen zu reduzieren, wie eine Studie zu Orchestervorspielen1
  • Ausgewogenere Teams beseitigen männliche Vorteile, die sich in den Führungsbewertungen von männerdominierten Teams zeigen. Bei einer ausgewogeneren Geschlechterzusammensetzung in Teams werden männliche und weibliche Führungskräfte als ähnlich repräsentativ für ihre Teams angesehen und somit als ähnlich führungsstark und vertrauenswürdig bewertet.
  • Allgemeiner ausgedrückt: Mehr Zeit in der Entscheidungsfindung und die Unterdrückung positiver Biases (d.h. solche, die Männer oft bevorzugen, wie z.B. ihnen mehr Kompetenz, Selbstvertrauen und Führungspotenzial zuzuschreiben) sind ebenfalls vielversprechende Ansätze zur Verbesserung von Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen.

Gleichzeitig ist das Wissen, was man nicht tun sollte, genauso wichtig wie das, was man tun sollte. Hier sind einige Strategien, die vermieden werden sollten:

  • Quoten für die Listen der Vorauswahl in der Rekrutierung mögen zwar verlockend klingen, aber wenn es nur eine Frau im Talentpool gibt, besteht statistisch gesehen keine Chance, dass sie eingestellt wird.
  • Ein verpflichtender Frauenanteil in Auswahlausschüssen erhöht weder die Quantität noch die Qualität der weiblichen Kandidatinnen, die sich für offene Stellen qualifizieren; dieser Schluss beruht auf der falschen Annahme, dass Frauen weiblichen Kandidatinnen gegenüber wohlwollender sind und kann dazu führen, dass männliche Beurteiler weiblichen Kandidatinnen gegenüber ablehnend sind.
  • Kurze, kontextlose Online-Schulungen zur Förderung der Vielfalt sind weitgehend unwirksam, wenn es darum geht, langfristige Verhaltensänderungen bei den Mitarbeitenden herbeizuführen (mit Ausnahme von Organisationen, die Frauen bereits in hohem Masse unterstützen).
  • Negative Vorurteile zu unterdrücken (d.h. solche, die Frauen oft benachteiligen, wie z.B. ihnen weniger Kompetenz, Selbstvertrauen und Führungspotenzial zuzuschreiben oder ihnen mehr familiäre Konflikte und weniger Beförderungswürdigkeit zu unterstellen), funktioniert nicht und ist meistens kontraproduktiv.
  • Und nicht zuletzt ist es meist kontraproduktiv, Frauen in Trainings beizubringen, dass die selbstbewusster, selbstbestimmter und “führungsähnlicher” sein sollten (d.h. ein “fix-the-women-Ansatz”), da Frauen mit einem solchen Verhalten als aggressiv angesehen werden und sogar moralische Entrüstung auslösen können. Diese Konsequenzen kommen zu der Zeit hinzu, die weibliche Führungskräfte in einem Training verlieren, während ihre männlichen Kollegen ihr Alltagsgeschäft weiterführen können. In Wahrheit sind individuelle Ansätze – z.B. Frauen zu sagen, dass sie sich einfach einfügen müssen (‚lean-in‘) – in der Regel unwirksame Strategien, um hartnäckige, tiefgreifende und systematische gesellschaftliche Probleme wie geschlechtsspezifische Vorurteile und Ungleichheit zu lösen.

Die hier vorgestellten Strategien zielen eher auf kritische Karriereentscheidungen ab als auf alltägliche Interaktionen oder die allgemeine Organisationkultur, die zu dem komplizierteren, etwas entmutigenden „Labyrinth der Führung“ beitragen, dem sich berufstätige Frauen gegenübersehen. Dies sind wichtige Einschränkungen, da moderne Voreingenommenheit und Diskriminierung zunehmend subtiler sind und toxische Organisationskulturen Frauen schnell vertreiben können, nachdem Design-Ansätze Frauen in Organisationen gebracht haben. Daher sind auch Führung, Verantwortlichkeit und Wachsamkeit zentrale Aspekte für einen nachhaltigen Diversity-Erfolg.

Wir haben es immer wieder gehört – und wir werden es an diesem Internationalen Frauentag wieder hören: Die Gleichstellung braucht Zeit. Es gibt zwar kein Wundermittel, aber wir können auf mehr Gleichberechtigung am Arbeitsplatz hinarbeiten dank Verhaltensdesign.

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1 Dies kann jedoch sehr zeitintensiv oder in manchen Fällen sogar unmöglich sein (z.B. bei Empfehlungsschreiben). Zudem kann die Strategie kontraproduktiv wirken, wenn Entscheidungstragende bereits implizit weibliche Kandidatinnen bevorzugen.

Über die Autorin / den Autor

Gloor

Prof. Dr. Jamie Gloor Assistant Professor

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