Laut dem Globalen Innovationsindex der WIPO (GII) galt die Schweiz im Jahr 2023 weltweit als innovativste Volkswirtschaft. Anwaltskanzleien bezeichnen sich in Inseraten gerne als innovativ. Die Financial Times kürt jährlich die innovativsten Juristen. Und die American Bar Association hat das ABA Center for Innovation gebildet, um die Rechtsdienstleistung zu verbessern. Innovation scheint im Rechtsmarkt angekommen zu sein.
Jurist:innen wird nachgesagt, dass sie resistent sind und, wenn überhaupt, nur langsam auf Veränderungen reagieren. Themen wie Innovation, Pricing Models und Alternative Delivery Models werden als Bereiche erachtet, die nicht von allen Anwält:innen adressiert werden müssen bzw. in die nur wenige Anwälte involviert werden wollen (Thomson Reuters Institute 2022 Report on the State of the Legal Market, S. 19).
Interessant ist auch die Erkenntnis, warum es zur Umsatzsteigerung in Professional Services Firms offenbar weniger auf Business Development ankommt, sondern sich die Partner vom «Experten» zum «Activator» entwickeln sollten (Matthew Dixon, Ted McKenna, Rory Channer, Karen Freeman. What Today’s Rainmakers Do Differently. Harvard Business Review, Nov/Dez 2023
Spielbereiche für Innovationen
Grundsätzlich sollte Innovation weniger regelmässig bei der Strategie stattfinden, da diese langfristig bestehen sollte. Vielmehr kann man im Geschäftsmodell und den Operations Veränderungen vornehmen. Wird nicht scharf zwischen Strategie- und Geschäftsmodellentwicklung unterschieden, werden auch Elemente der Strategiearbeit in die Innovationsarbeit integriert.
Innovation kann in vielen weiteren Bereichen erfolgen, z.B. im Prozess, bei Produkten, den Ressourcen für die Produktion, im Vertrieb, der Wertschöpfung, dem Preis- und Umsatzmodell. Aus der Vielzahl von möglichen Beispielen kann – zufällig und nur zu illustrativen Zwecken gedacht – im Rechtsbereich z.B. das Angebot von Plattformen oder von günstigeren Produkten oder die Erweiterung des Angebots durch Zukauf von Geschäftsbereichen genannt werden. DieTechnologie oder deren Nutzung gilt nicht als Innovation, sondern ist lediglich ein Mittel zu deren Unterstützung.
Wie entsteht Innovation?
Für eine Innovation sind viele Hürden zu nehmen: Es braucht die Bereitschaft, nach Neuem und Ungewissem suchen zu wollen. Dann ist Kreativität gefragt, um überhaupt Ideen zu generieren. Anschliessend muss eine Entscheidung zur Implementierung getroffen werden.
Die grösste Herausforderung liegt in der Umsetzung der Idee, die von einem gut geführten Change Prozess begleitet werden muss. Dabei darf man nicht vergessen, dass der Mensch Veränderungen nur zögerlich annimmt. Erst wenn die Implementierung erfolgreich im Markt umgesetzt und anerkannt wurde, kann man von einer Innovation sprechen. Und wenn sie allenfalls die gesamte Branche beeinflusst, kann sie sogar als disruptive Innovation gelten.
Dazu kommt, dass der Innovationsprozess als schmerzhaft und frustrierend gilt, weil die meisten Versuche zur Umsetzung selbst brillanter Ideen von regelmässigem Scheitern begleitet werden. Im Gegensatz zu den USA wird in Europa Misserfolg noch zu sehr stigmatisiert. Es muss sich lohnen, Risiken einzugehen. Schliesslich wird der Innovationsprozess in der Entwicklungsphase oft nicht genügend vom Tagesgeschäft abgegrenzt.
Manager bevorzugen verlässliche Daten und optimieren das Geschäftsergebnis in vorgegebenen Bahnen. Unternehmer und Leader hingegen pflegen eine Weitsicht, suchen das Ungewisse und arbeiten auch mit nicht vorhandenen, nicht verlässlichen Daten oder mit Annahmen. Sie brechen aus dem bestehenden Rahmen aus und suchen nach neuen Opportunitäten. Optimierung hat nichts mit echter Innovation zu tun. Letztere könnte im Extremfall dazu führen, dass ursprüngliche Gewissheiten trotz Ungewissheiten und Gefahren aufgegeben werden.
Und der Rechtsmarkt?
Man darf nicht unterschätzen, dass sich der anwaltliche Beratungsmarkt über die Jahrzehnte langsam, aber stetig verändert hat. Zu nennen sind hier insbesondere folgende Meilensteine: Einführung des Cravath-Systems, Wachstum der Rechtsabteilungen, Akzeptanz von multidisziplinären Partnerschaften (MDPs), Gründung von Anwaltsgesellschaften und Akzeptanz von Fremdbesitz, Rechtsarme der grossen Revisionsgesellschaften, Auslagerung zu LPOs, Aufbau flexibler Personallösungen, Startschuss für Legal Tech, Wachstum von ALSPs und heute Einführung der künstlichen Intelligenz (vgl. David B Wilkins/María José Esteban Ferrer, Taking the «Alternative» out of Alternative Legal Service Providers, in: DeStefano/Dobrauz-Saldapenna, New Suits, Appetite for Disruption in the Legal World, 2019, S. 29 ff.).
Zurück zur eingangs genannten Frage, ob der Rechtsmarkt innovativ ist: Ja, punktuell, und nicht unbedingt schnell. Der Rechtsmarkt sollte sich nicht darauf verlassen, dass die in der Vergangenheit gezeigte Menge und das Tempo an Veränderungen einfach in die Zukunft extrapoliert werden können. Hier ist Vorsicht vor falsch verstandener Sicherheit geboten.
Über die Autorin / den Autor
Prof. Dr. Bruno Mascello Academic Director Law & Management
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