Eigentlich ist Nachhaltigkeit – und als Ausfluss dessen: «ESG» (Environment, Social, Governance) – nichts Neues. Überrascht hat lediglich die Schnelligkeit und Heftigkeit, wie sich das Thema heute dank der «Friday for Future»-Bewegung, der Corona-Pandemie und der Klimadebatte in der Wirtschaft verankert hat. Wie gehen Rechtsdienstleistende damit um?

Für Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen führen diese Entwicklungen zunächst zu einer erhöhten Nachfrage nach Rechtsberatung. Aber wer von ihnen wird seine Kund*innen mit mehr als «nur» Rechtsrat bedienen wollen und sich im Wettbewerb langfristig erfolgreich positionieren können? Eines scheint klar: Es reicht nicht, seiner juristischen Spezialisierung einfach das Anhängsel ESG zu verpassen (z.B. Kartellrecht und ESG). Auch wird es nicht genügen, seinen CO2-Ausstoss zu reduzieren. Das gilt wohl kaum schon als Green Legal?

Um die eigene Rechtsdienstleistung künftig mit mehr als nur rechtlichem Nutzen bei den Kund*innen einzubringen, haben Rechtsdienstleistende nicht nur den Unterschied zwischen einer Nachhaltigkeitsstrategie und einer nachhaltigen Geschäftsstrategie zu verstehen. Sie sollten insbesondere ihre Kund*innen besser kennen und damit deren Produkte, die Rahmenbedingungen, die Wertschöpfungskette und ihre Abnehmenden und Lieferant*innen. Heute wird das noch wichtiger, weil ESG als Querschnittsthema verstanden werden muss und nicht einfach in einer einzigen Abteilung verortet werden kann. Ohne entsprechende Sensibilisierung der Jurist*innen für diese Thematik, wird ihr Rechtsrat weiterhin korrekt sein, aber – aus Sicht der Kund*innen – nicht immer auch nutzenstiftend wirken. Es stellt sich deshalb die Frage: Wie wird man als Jurist*in zu einem guten, juristisch ausgebildeten Sparring-Partner?

Schliesslich kommt dazu, dass wohl kaum der Rechtsdienst oder eine Anwaltskanzlei alleine das Thema Nachhaltigkeit umfassend abdecken kann. Weitere Expert*innen müssen zwingend integriert werden. Wer aber soll das alles für die Kund*innen umfassen anbieten? Hier könnte sich ein Blick auf das Konzept der Ökosysteme als nützlich erweisen.

Ökosysteme verbessern die Ergebnisse

Bei der Idee von Unternehmensökosystemen arbeiten verschiedene Unternehmen zusammen, um gemeinsam ein Produkt, einen Service oder ein ganzes Leistungsbündel bereitzustellen, um das Ergebnis insgesamt zu verbessern. Ein einzelnes Unternehmen könnte dies nicht oder nicht in der gleichen Qualität bereitstellen. Sabine Keller-Busse, President UBS Switzerland, erwähnte hierzu kürzlich: «Wir glauben auch nicht, alles selbst am besten zu können – wo wir andernorts grössere Kompetenz sehen, arbeiten wir mit Partnern zusammen. (…) Und durch verstärkte Kooperation im Rahmen innovativer Ökosysteme lassen sich Skalen- und Netzwerkeffekte schaffen, die letztlich auch der Kundschaft Mehrwert bringen. Darauf kommte es an – egal in welcher Branche.» (vgl. NZZ vom 28. Mai 2022, S. 17 der Verlagsbeilage) Und wenn es um die Erbringung von unternehmensinternen Dienstleistungen und die Beschaffung geht, warum diesen Gedanken nicht auch auf die Rechtsbranche übertragen?

Schaut man sich den Rechtsmarkt stark vereinfacht an, kann man drei Gruppen von Rechtsdienstleistenden ausmachen: (1) Rechtsabteilungen, die das Unternehmen und die Branche und somit ihre Kund*innen am besten kennen sollten, (2) Anwaltskanzleien, die sich v.a. durch ihre juristische Fachexpertise auszeichnen, und (3) die – im Vergleich zu den beiden vorgenannten traditionellen Dienstleistenden – «alternativen» Rechtsdienstleistenden, die insbesondere ein ausgeprägtes Prozessdenken und bessere Digitalisierungskompetenzen mitbringen (vgl. Bruno Mascello, Wie Kanzleien und Rechtsabteilungen die nächste Welle überleben könnten, 6. März 2018, mit Hinweis auf Bruno Mascello, Strategische Positionierung der Kanzlei in Zeiten von Legaltech und Digitalisierung, in: Anwaltsrevue, 1/2018, S. 18-24). Jeder dieser drei Anbietenden weist also seine ganz eigenen Stärken auf, aber mit vereinten Kräften würden sie den Kund*innen einen noch grösseren Nutzen erbringen. Wer also den sogenannten «Sweet Spot» besetzt, wo alle drei Anbietenden zusammenkommen, und damit alle Vorteile vereint, wird eine für die Kund*innen viel wertvollere Leistung erbringen können.

Nachhaltigkeit als Trigger für mehr Kooperation

Unternehmen und selbst Regierungen müssen in kürzester Zeit eine Antwort auf die Frage bieten können, inwiefern sie schon nachhaltig sind bzw. bis wann sie es sein werden. Davon sind auch Rechtsabteilungen als Teil von Unternehmen und Anwaltskanzleien als eigenständige Unternehmen betroffen. Allein schon die schiere Grösse dieser Herausforderung verlangt nach einem Pooling der verschiedenen Kompetenzen. Berücksichtigt man auch noch die geforderte Geschwindigkeit zur Präsentation von Lösungen, wird ein einzelner Rechtsdienst das nicht selber abdecken können. Kund*innen würden es begrüssen, wenn die drei vorgenannten Gruppen von Rechtsdienstleistenden zusammenspannen und aus einer Hand Rechtsdienstleistungen anbieten könnten. Das vermeidet unnötige Schnittstellen, Doppelspurigkeiten, Widersprüche und Zeitverlust. Das Thema Nachhaltigkeit (oder ESG) wäre also bestens prädestiniert, um eine neue Art der Wertschöpfung auszuprobieren, die allen zugute käme.

Mögliche Optionen zur Kooperation

Ich sehe aktuelle folgende Formen von möglichen Kooperationen für diese Thematik.

  • Konzertierte Beschaffung von Rechtsrat: Heute organisieren sich in Rechtsabteilungen tätige Jurist*innen bereits in Berufsverbänden und tauschen sich rege zu operativen Fragen wie auch zur Beschaffung von Rechtsdienstleistungen aus (vgl. z.B. Association of Corporate Counsel (ACC), Corporate Legal Operations Consortium (CLOC), Vereinigung Schweizer Unternehmensjuristen (VSUJ)). Vielen kleineren Unternehmen fehlt es an der nötigen Einkaufs- und Verhandlungsmacht, wenn es darum geht, bessere Konditionen bei Anwaltskanzleien auszuhandeln. Denkt man das Ganze etwas weiter, könnte ein gemeinsamer Einkauf von Rechtsdienstleistungen diesen Marktnachteil ausgleichen und bei entsprechenden Kooperationen von Grossunternehmen noch stärker ins Gewicht fallen. Erste solche Aktivitäten sind bereits zu beobachten. Es versteht sich natürlich von selbst, dass solche Kooperationen wettbewerbsrechtlich geprüft und die Rechtsbeziehungen in der vertraulichen Fallbearbeitung isoliert bleiben müssen.
  • Durch Kund*innen angeordneter Beizug von Dritten: Gerade Anwaltskanzleien erliegen regelmässig der Versuchung, alles selber machen zu wollen. Aber wieso eigentlich? Sie arbeiten ja in der Outsourcingbranche: Sie existieren im Grunde genommen nur, weil ihre Kund*innen Arbeiten zu ihnen auslagern. Wenn wir an Ökosysteme denken, könnten Kund*innen von ihren Zuliefernden also durchaus verlangen, mit anderen Lieferant*innen zusammenzuarbeiten, um auf diese Weise vorteilhafte Effekte zu erzielen. Aus Kund*innensicht (z.B. der CFO eines Unternehmens) würden dann die Rechtsabteilung, die externe Kanzlei und weitere Rechtsdienstleistende (z.B. Big 4, Legal Tech etc.) ein gemeinsames Ökosystem bilden.
  • Freiwillige Vergrösserung des Einfluss- und Kontrollbereichs durch neue Anbietende: Anwaltskanzleien bzw. andere Rechtsdienstleistende könnten die Idee des Ökosystems auch als neues Geschäftsmodell verstehen. Das heisst, dass Dienstleistende nicht nur alle juristischen Fachbereiche aus einer Hand anbietet (klassischer Full Service Provider), sondern er liefert darüber hinaus auch die an diese Dienstleistungen anknüpfenden Leistungen als erweiterter One-stop-shop. Der Fokus wechselt also von der traditionellen Sichtweise auf juristische Fachbereiche (Stichwort: Spezialisierung bzw. Inside-out Perspektive) zu einer vom umfassenden Bedürfnis der Kund*innen getriebenen Sichtweise (Outside-in). Auf diese Weise wird die exzellente Fachexpertise ausgeweitet auf weitere Bereiche, die es im Interesse der Kund*innen abzudecken gilt.

Eigene Marktposition definieren

Unternehmen gerade auch im Dienstleistungssektor sind heute bereit bzw. durch die veränderten Rahmenbedingungen eventuell gezwungen, in gewissen Bereichen vermehrt mit anderen zu kooperieren. Dass auch in der Rechtsbranche weitere Effizienzsteigerungen möglich sind, wird wohl kaum jemand ernsthaft bestreiten wollen. Warum also den Gedanken von Ökosystemen nicht auch hier andenken und am aktuellen Thema der Nachhaltigkeit schrittweise ausprobieren? Dadurch könnte es in vielerlei Hinsicht zu einer Win-Win-Situation kommen: bessere Ergebnisse, tiefere Kosten, zufriedenere Kund*innen, weniger Ressourcenverschleiss, mehr Durchlässigkeit bei der Beschäftigung, Integration der sogenannten alternativen Rechtsdienstleistenden und – zumindest für berücksichtigte Kanzleien – mehr Kund*innenbindung und damit mehr Umsatz. Ferner würde eine solche Positionierung bestimmt auch für eine gesteigerte Attraktivität am Rekrutierungsmarkt sorgen.

Für strategisch und betriebswirtschaflich orientierte Rechtsdienstleistende mit Fokus auf die Kund*innen und deren Bedürfnisse wäre das also eine perfekte Gelegenheit, um sich rechtzeitig zu positionieren und sich unentbehrlich zu machen. Der Markt bleibt weiterhin spannend.

 

Über die Autorin / den Autor

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Prof. Dr. Bruno Mascello Academic Director Law & Management

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