People Analytics-Anwendungen halten immer mehr Einzug in Unternehmen. Dies ist nicht nur eine Reaktion auf die Veränderungen, die sich in der entgrenzten Arbeitswelt im Zuge von COVID-19 ergeben haben. Die Nachfrage wird auch von der Idee angetrieben, dass personalwirtschaftliche Entscheidungen, die auf mitarbeiterbezogenen Daten und Analysen beruhen, effektiver und genauer sind als solche, die primär auf Intuition, Erfahrung oder persönlicher Empfehlung beruhen. Gemäss einer Studie von Deloitte erachten rund 85% der befragten Unternehmen mitarbeiterbezogene Daten als wichtig und nur drei Prozent glauben, dass sie die Daten bereits ausreichend auswerten und nutzen. Dieser Trend scheint also «gemachte Sache».

Aber halt! Die reine Sammlung und Analyse mitarbeiterbezogener Daten reicht bei Weitem nicht aus, damit People Analytics entscheidender Treiber der Business Excellence wird. Es braucht mehr, und Schlagworte wie “Algorithmic Discrimination”, “Taylorismus 4.0”, “Data Gold Rush” oder “Big Brother” verdeutlichen anschaulich, wie People Analytics das Arbeitsleben der Mitarbeitenden, ihren einzigartigen Wertbeitrag und die Unternehmenskultur als Ganzes gefährden kann. An der HSG forscht das Institut für Arbeit und Arbeitswelten rund um Prof. Dr. Antoinette Weibel und Dr. Simon Schafheitle seit 6 Jahren intensiv zu diesen Themen.

Grund für dieses Innehalten sind die vielfach nicht intendierten oder nicht absehbaren Folgen vor allem für die Mitarbeitenden, die die Anwendung von People Analytics mit sich bringt. Wissenschaftlich formuliert bedeutet der Einsatz von People Analytics nämlich die sogenannte Datafizierung der Mitarbeitenden, also die Übersetzung des individuellen Wertbeitrags der Mitarbeitenden, ihrer Persönlichkeit sowie der Qualität ihrer sozialen Beziehungen in Nullen und Einsen. Der Begriff «gläserne Mitarbeitende» klang bis anhin wie Science-Fiction, ist es aber nicht – mehr. Wir wissen bereits, dass Algorithmen besser in der Lage sind, große Datenmengen exakter, schneller und weniger fehleranfällig zu bearbeiten als wir Menschen. Neu ist aber, dass intelligente People Analytics-Anwendungen eben nicht nur genau messen, sondern auch eigenständig evaluieren und Schlussfolgerungen daraus ziehen können – und das sogar ohne Einbezug von Führungskräften. Amazon’s «firing-by-algorithm Politik», also der automatisierte Rausschmiss, führt es uns dramatisch vor Augen. Weniger drastisch ist beispielsweise die App «Humu», die eigenständig sogenannte «behavioral nudges» an Führungskräfte sendet, um sie beim Leistungsfeedback zu unterstützen. Im Vorfeld eines Meetings analysiert die App beispielsweise die Datenspuren der Teilnehmenden (bspw. E-Mails, Telefonate, URL-/LogFile Histories) und sendet der Führungskraft im Vorfeld Handlungsempfehlungen zum Beispiel zu welchen Themen sie welche Fragen stellen sollte oder welche Art von Feedback für gewisse Teilnehmende geeignet wäre, wie ein Strategic HR Review Journal festhält. Ähnlich hierzu analysiert der Algorithmus «Corti», wie ein Artikel aus “The Verge” belegt, das Telefongespräch in Notfallnummern, um den Mitarbeitenden Hilfestellung bei der Frage «ob es wirklich so ernst ist wie es geschildert wird» zu bieten.

Mit Blick auf die letzten beiden Beispiele treten die Vorteile von People Analytics klar zutage: Richtig eingesetzt kann ein digitales Tool eine enorme Arbeitserleichterung darstellen, auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen und so auch die Effizienz der Arbeitsabläufe steigern. Auch kann die Zusammenarbeit zwischen Kolleg:innen erleichtert werden. Dazu braucht es aber Transparenz, Freiwilligkeit, massgeschneiderte Lösungen sowie eine Führungskraft, die die unausweichlichen Dilemmata des Technologieeinsatzes erkennt und, im Zweifel beherzt zu den Mitarbeitenden steht.

Licht wirft zwangsläufig auch Schatten – der Faktor Mensch gehört beim Einsatz von People Analytics ins Zentrum der Betrachtung. Die Mitarbeitenden werden durch die neuen Technologien zwangsläufig transparenter – doch wollen sie das? Wollen sie sich immer mehr zur Schau stellen? Möchten sie dem Vorgesetzten «alles» über sich preisgeben? Der Schuss kann für Unternehmen schnell «nach hinten losgehen». Wird der sogenannte Buy-in der Mitarbeitenden nicht zum Prüfstein des Erfolgs von People Analytics oder geschieht dies nur halbherzig, können sich Mitarbeitende schnell weigern, neue Technologien zu nutzen, innerlich kündigen, oder sich vielmehr anstrengen, vor dem Algorithmus gut dazustehen, statt sich den tatsächlichen Arbeitsinhalten zu widmen. Es ist also wichtig, dass sie auch Momente des «sich unbeobachtet Fühlens» haben, wie das Journal Academy of Management Annals feststellt. Denn wer möchte schon im «Big Brother»-Haus sitzen. Wenn Tätigkeiten komplex werden, in hohem Mass implizites Wissen erfordern oder Teamarbeit im Mittelpunkt steht, muss der Einsatz von Datafizierung und Automatisierung besonders kritisch begleitet werden. Jüngst experimentieren beispielsweise asiatische Forschende mit dem Einsatz von People Analytics Technologien in der Königsdisziplin der Business Excellence. Gemäss dem “The Wall Street Journal” sollen mithilfe von EEG-Analysen Muster in den Köpfen der C-Suite Manager identifiziert werden, um so auf Automatisierungspotential in der Corporate Governance zu schließen. Ein Roboter als CEO? Die Bewertung eines solchen Szenarios, stellen wir Ihnen, liebe Leserschaft, gerne anheim. Der Einsatz von People Analytics erfordert also viel Fingerspitzengefühl, das Reißbrett hat in jedem Fall ausgedient und es braucht Fähigkeiten von Führungskräften und Mitarbeitenden gleichermaßen, die häufig erst im Implementierungsprozess zu Tage treten. Sind sie gewappnet für den Einsatz von People Analytics in Ihrem Unternehmen oder möchten mehr zum Thema erfahren? Dann empfehlen wir die Weiterbildung «People Analytics – People Analytics – Trust and Leadership in the Digital Era»

Der Beitrag wurde erstmalig auf jobs.nzz.ch veröffentlicht.

Über die Autorin / den Autor

simon schafheitle

Dr. Simon Schafheitle

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