Am deutlichsten ist dieser Trend zweifellos in Australien und im Vereinigten Königreich zu sehen. Seit einigen Jahren gibt es in Australien gar Kanzleien, die an der Börse gelistet sind. Im UK existiert mit Inkraftsetzen des UK Legal Services Act 2007 für Anwaltskanzleien die Möglichkeit, sich als Alternative Business Structure (ABS) registrieren zu lassen. Ein ABS ist eine Anwaltskanzlei, die von Nicht-Anwälten beherrscht und geführt werden kann. Aktuell haben sich über 700 Kanzleien als ABS registrieren lassen, darunter seit neuestem die sogenannten „legal arms“ aller vier grossen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.

Wenn man sich ein paar besonders profilierte ABS genauer anschaut, stellt man fest, dass es sich dabei häufig um Kanzleien handelt, die sich innovativ am Markt bewegen, mit ihrer Multidisziplinarität punkten, stark in IT zur Förderung der Digitalisierung ihrer Prozesse investieren oder durch attraktive, kundenfreundliche Honorarmodelle auffallen. Sie tragen damit zur Entwicklung eines Angebots an Rechtsdienstleistungen bei, das für Kunden sowohl im B2C- wie auch im B2B-Geschäft attraktiv ist.

Anwalts-Lobbisten, Gesetzgeber und Anwalts-Aufsichtsbehörden in vielen Märkten sperren sich gegen eine Liberalisierung. Sie stemmen sich nicht nur gegen das Aufbrechen des anwaltlichen Beratungs- und/oder Vertretungsmonopols. Auch die kapital- oder führungsmässige Beherrschung von Kanzleien durch Nicht-Anwälte ist in den wenigsten Märkten zulässig. Die spannende Frage ist nun, ob das Aufrechterhalten des Monopols das Anwaltsgeschäft langfristig fördert oder ihm schadet.

Gegen eine weitgehende Liberalisierung spricht das Bedürfnis nach Schutz der Rechtssuchenden, die Rolle der Anwälte als Organe der Rechtspflege und das öffentliche Interesse an der Qualitätssicherung anwaltlicher Arbeit. Für eine Liberalisierung lässt sich ins Feld führen, dass wohl nur ein freier Markt die Voraussetzung dafür bietet, dass die Anbieter in diesem Markt adaptiv und innovativ sind und so der ständig wachsenden Marktdynamik gerecht werden können. Beide Argumentationslinien haben natürlich ihre Berechtigung. Die Frage ist einfach, welche von beiden letztlich mehr Nutzen stiftet – für Anwälte und ihre Kunden.

Wie auch immer man diese Frage beantwortet: Der gesetzliche Rahmen für die Ausübung anwaltlicher Beratungs- und Vertretungstätigkeit muss jedenfalls so beschaffen sein, dass Kanzleien ausreichend Freiheit haben, um sich den Anforderungen des Marktes entsprechend zu entwickeln. Ist dies nicht gewährleistet, werden sie gegen Anbieter, die Zugang zum Kapitalmarkt haben oder durch ein professionelles strategisches und operatives Management von nicht-anwaltlichen Experten geführt werden, letztlich den Kürzeren ziehen. Rigide Regulierung ist deshalb sicherlich der falsche Weg!

Für grosse Unternehmenskunden gelten proprietäre nationale Regelungen faktisch schon heute nicht mehr. Forum-Shopping, Klauseln zur Rechtswahl, alternative Streitbeilegungsmechanismen mit Vertretungsmöglichkeit ausserhalb nationaler Regulierungen oder die Inanspruchnahme der Beratungsleistung von ausländischen, nicht-anwaltlichen Rechstdienstleistern sind längst Realität. Dank moderner Technologien und innovativer Geschäftsmodelle werden bald auch private Rechtssuchende ähnliche Möglichkeiten haben. Gesetzgeber und Anwaltsverbände sind gefordert, für Anwaltskanzleien regulatorische Freiräume zu schaffen, die zu gleich langen Spiessen zwischen Kanzleien und alternativen Rechtsdienstleistern führen.

Dieser Artikel ist Teil der Serie «Die wichtigsten Trends im Rechtsmarkt». Erfahren Sie mehr in den anderen Artikeln:

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Executive School of Management, Technology and Law

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