1) Mangelnde Sensibilität
Zunächst irritiert die herablassende Haltung gegenüber den eigenen Kund*innen. Das Kund*innen-Bild im zuvor erwähnten Artikel scheint offensichtlich nicht auf einer mangelnden Sensibilisierung zu basieren, sondern auf einer bewussten Überzeugung. Leider bestätigt eine solche Haltung lediglich das unvorteilhafte Bild, das in der breiten Bevölkerung von Anwält*innen besteht. Spreche ich mit Jurist*innen und Anwält*innen, stelle ich leider oft fest, dass in der Tat eine genügende Sensibilisierung für die Kund*innen-Sicht fehlt. Und das unabhängig davon, ob sie in Kanzleien, Rechtsabteilungen oder in der öffentlichen Verwaltung arbeiten. Regelmässig werde ich sogar darauf hingewiesen, dass Anwält*innen keine Kund*innen, sondern Klient*innen hätten und dass Anwält*innen keine Dienstleistende seien. Nun, Kund*innen sehen das anders. Und auf deren Wahrnehmung kommt es schliesslich an, um als Jurist*in erfolgreich zu sein.

 

2) Kund*innen als Bittstellende
Der Autor des vorgenannten Artikels stellt relativierend fest, wenn ein/e Kund*in etwas von ihm oder seiner Kanzlei hätte haben wollen, ihn danach gefragt hätte. Er scheint dabei zu übersehen, dass Kund*innen den Anwaltskanzleien kein “Right of First Refusal” einräumen. Sind sie mit den Leistungen einer Kanzlei nicht zufrieden, was übrigens das Verhalten und die den Kund*innen gegenüber gezeigte Haltung miteinschliesst, ziehen sie ohne Vorankündigung zur nächsten Kanzlei weiter. Oder sie machen es gleich selbst. Denn mittlerweile erledigen Rechtsabteilungen die meiste Arbeit selbst (Stichwort: Insourcing), was diese eindrückliche Grafik zum Wachstum der Rechtsabteilungen in den USA zeigt (vgl. weitere Impulse hierzu z.B. hier oder hier oder hier).

 

3) Expert*innen-Falle «Inside-out»
Schliesslich verhalten sich Jurist*innen wie viele andere Expert*innen (Ärzt*innen, Ingenieur*innen etc.) auch: Sie wenden eine Sichtweise an, die sich primär an ihrer juristischen Fachexpertise orientiert, also eine Innensicht («Inside-out»). Kund*innen gehen jedoch davon aus, dass sie von ihnen einen korrekten Rechtsrat erhalten. Echte Kund*innen-Zentrierung orientiert sich deshalb vielmehr am Gegenüber und an den Bedürfnissen der Kund*innen («Outside-in»). Das braucht für Expert*innen erfahrungsgemäss zwar anfänglich etwas Umgewöhnung, um alte Verhaltensweisen zu ändern. Wird diese neue Perspektive aber konsequent umgesetzt, erhält der/die Kund*in einen nützlichen Rechtsrat, den er/sie in seinem/ihrem unternehmerischen Umfeld direkt einpflegen kann. Unnötig zu erwähnen, welche Wirkung das auf die Kund*innen-Zufriedenheit und die damit verbundene Empfehlungsrate haben wird.

 

Ergebnis: Fehlende Kund*innen-Orientierung als Killerkriterium
Abschliessend erzähle ich gerne noch eine kleine Anekdote aus meiner Vergangenheit, als ich noch in der Rechtsfunktion eines international tätigen Finanzdienstleistenden tätig war und dort auch das Panel der Anwaltskanzleien leitete. Als mich einmal eine Delegation einer UK-Kanzlei besuchte, um uns deren Dienste anzubieten, eröffnete der Seniorpartner das Gespräch mit der Frage: «What can I do for you?» Mir schoss spontan nur ein Gedanke durch den Kopf: Wenn die Kanzlei das nicht bereits weiss, darf ich wohl keine Branchen- und Kund*innen-Expertise erwarten. Dieser Mangel kommt im Selektionsprozess einem Knock-out gleich. Als Kund*in hat man weder die Zeit noch das Interesse, die Kanzlei kostenpflichtig «auszubilden», bevor sie etwas liefern kann.

Um zum erwähnten Artikel vom Anfang zurückzukommen: Sollte ein/e Jurist*in seine/ihre Kund*innen fragen, was sie wollen? Grundsätzlich nein, jenes Wissen sollte bereits vorhanden sein. Die Kund*innen setzen dieses Vorwissen voraus, wie sie auch einen korrekten Rechtsrat erwarten. Liegt das Wissen nicht oder nicht vollständig vor, sollte natürlich sehr wohl nachgefragt werden. Allerdings sollte dabei nicht immer erwartet werden, dass der/die Kund*in für diese Zeit auch bezahlen will.

Für strategisch und betriebswirtschaftlich orientierte Rechtsdienstleistende mit Fokus auf die Kund*innen und ihre Bedürfnisse bietet das also die perfekte Gelegenheit, um sich gegenüber ihren Konkurrent*innen abzugrenzen und besser zu positionieren bzw. sich bei bestehenden Kund*innen unentbehrlich zu machen. Der Markt bleibt weiterhin spannend.

Hinweis: Für interessierte Jurist*innen aus Rechtsabteilungen, Anwaltskanzleien und der öffentlichen Verwaltung, die spontan noch weitere Impulse zur Verbesserung ihrer Kundenorientierung suchen, vgl. das Weiterbildungsmodul vom 19.-23. September 2022.

 

Über die Autorin / den Autor

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Prof. Dr. Bruno Mascello Academic Director Law & Management

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