Frau Sander: Dieses Jahr feiern Sie 30-jähriges HSG-Jubiläum. Was hat sich seither positiv verändert?
Als ich vor 30 Jahren kam, gab es ca. 17% Studentinnen und eine Professorin, wenn ich mich richtig erinnere. Heute haben wir immerhin 35% Studentinnen und 13% Professorinnen. Zudem haben Themen wie Sustainability, Diversity and Inclusion etc. Einzug in die Lehrpläne gehalten und man kann sein Studium mittlerweile auch in Englisch absolvieren.

Gudrun Sander Portrait

Prof. Dr. Gudrun Sander

Sie bringen viele Frauen an die HSG und in den Bereich Weiterbildungen. Wie schaffen Sie das?
Im Bereich der Weiterbildung gelingt uns das mit dem seit mehr als 10 Jahren existierenden «Women Back to Business»-Programm, das sehr gut qualifizierte Frauen beim Wiedereinstieg oder Umstieg in eine qualifizierte Position unterstützt. Zusätzlich machen wir seit Jahren Rolemodel-Events zum Thema Women’s Perspective on Leadership and Career Development, wo wir zeigen, wie unterschiedlich die Karrierewege und Führungsvorstellungen von Frauen sein können. Ich bin auch oft in Mentoring-Programmen für Nachwuchsfrauen in Firmen und Hochschulen involviert. Diese nehmen regelmässig am St. Gallen Leadership-Tag teil oder kommen zu anderen Weiterbildungen an der HSG. Das freut mich natürlich sehr, dass ich so die HSG bei Frauen positiver positionieren kann.

Wo besteht noch Handlungsbedarf, wo können wir uns noch mehr anstrengen?
Um mehr junge Frauen an die HSG zu bringen, müssen wir stärker die Vielfalt der HSG nach aussen zeigen. Wir stehen nicht nur für Banking und Finance oder Strategie sondern haben ganz viele spannende Themenfelder, besonders im Master. Das müssen wir stärker kommunizieren und ebenfalls Vorbilder zeigen, wie Frauen, die an der HSG studiert haben, in ganz unterschiedlichen Bereichen engagiert sind und sich beruflich entwickeln.

Tun wir genug im Bereich Weiterbildungen? Als Executive School?
Unsere Flagship-Programme sind engagiert und bemühen sich, mehr Frauen in die Weiterbildung zu bringen. Letztes Jahr haben wir zumindest die 30% Hürde geschafft. Teilweise braucht es noch mehr Flexibilität in der Programmgestaltung, mehr Dozentinnen und inhaltliche Anpassungen in den Weiterbildungsgängen, um gezielt mehr Frauen anzusprechen. Es ist ein Schneeball-Effekt: Je mehr gute Beispiele wir auch in der Kommunikation zeigen können, desto mehr Frauen fühlen sich angesprochen und kommen zu uns in die Weiterbildung.

Kürzlich war der Frauenstreik – Sie haben den ersten 1991 miterlebt. Wie?
Das war ein ziemlicher Aufruhr an der HSG. Teilweise haben die Professoren ihren Mitarbeiterinnen verboten, am Streik teilzunehmen. Es gab aber schon ein paar engagierte Frauengruppen an der HSG, wie z. B. das Forum Frau und Management oder den Diskussionskreis Frau und Wissenschaft. Insofern fanden trotzdem Kundgebungen und Aktivitäten statt. Ich war auch dabei und mir ist vor allem die Energie in Erinnerung geblieben. Das Motto war: «Wenn Frau will steht alles still.» Das war dann tatsächlich zu spüren und hat die viele – oft und bis heute noch – unbezahlte Arbeit der Frauen sichtbar gemacht, aber auch ihre Beiträge im Erwerbsleben, wo die Frauen vor 30 Jahren in der Schweiz noch viel stärker im Hintergrund standen als heute.

Was hat sich seither verändert? Zum Positiven:
Zum Positiven, aus meiner selektiven Wahrnehmung: Die rechtliche Gleichstellung ist defacto in der Schweiz erreicht. Das neue Eherecht (von 1988), das Gleichstellungsgesetz (von 1996) etc. haben hier gute Grundlagen gebracht. Die Mutterschaftsversicherung und der Mutterschaftsurlaub wurden 2005 eingeführt. Es ist auch viel anerkannter, dass Frauen – auch mit kleinen Kindern – erwerbstätig bleiben, zumindest in Teilzeit. Vor 30 Jahren hiess es in der Ostschweiz und in weiten Teilen der Schweiz noch: «Entweder du steigst nach der Geburt eines Kindes aus oder du kommst Vollzeit wieder zurück.» Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit ist zumindest gesetzlich verankert und hat einige Korrekturen gebracht. Ich kann mich noch gut erinnern, als vor 30 Jahren eine Kollegin zu mir gesagt hat, dass es doch ganz normal und ok ist, dass sie als Frau für den gleichen Job weniger verdient als ihr Kollege, der eine Familie zu ernähren hat. Das ist heute nicht mehr denkbar und gegen das Gleichstellungsgesetz. Trotzdem bleibt noch einiges zu tun, denn tatsächliche Lohngleichheit haben wir in der Schweiz immer noch nicht ganz erreicht. Das hängt aber vor allem mit den schlechteren Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen zusammen.

Zum Negativen:
Der Druck auf junge Familien ist gestiegen. Sie fühlen sich oft allein gelassen in den Rush Hours of Life, da einerseits zu wenig bezahlbare und gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und da sie andererseits unverhältnismässige hohe Einbussen bei der beruflichen Entwicklung in Kauf nehmen müssen, wenn sie Teilzeit arbeiten wollen. Die Familie hat weiterhin einen hohen Stellenwert in der Schweiz. Gelebte Familienmodelle sind jedoch vielfältiger geworden. Die Rahmenbedingungen orientieren oft noch am traditionellen Familienbild und es gab kaum Anpassungen. Hier müssen dringend auf politischer Ebene die Weichen umgestellt werden: Elternurlaub, Individualbesteuerung, flexiblere Vorsorgelösungen, etc.

Wofür müssen/sollten wir Frauen heute noch kämpfen?
Das möchte ich insbesondere drei Punkte erwähnen:

1. Gegen die subtilen Abwertungen. Im Fachjargon sprechen wir von Unconscious Bias. Die Leistungen von Frauen und Männern werden immer noch unterschiedlich wahrgenommen. Frauen wird immer noch weniger zugetraut als Männern. Die wenigen Frauen in Top-Führungspositionen stehen unter höchster Aufmerksamkeit und werden stärker abgestraft als Männer in solchen Rollen.

2. Für flexiblere Arbeits- und Vorsorgemodelle. Ich stelle mir immer wellenförmige Karrieren vor, wo junge Menschen nach der Ausbildung durchstarten, internationale Erfahrungen sammeln etc. Dann kommt vielleicht eine Phase der Familiengründung, einer nächsten Ausbildung oder eines politischen Engagements, die ein weiterhin sehr hohes Engagement im Erwerbsleben aber vielleicht mit geringerer zeitlicher Verfügbarkeit mit sich bringt. Mit Ende 40 haben die Menschen vielleicht nochmals Lust durchzustarten, orientieren sich um, erhöhen ihr Arbeitspensum wieder oder gründen eine Firma bis sie dann vielleicht um die 60 ihr berufliches Engagement zugunsten anderer Aktivitäten sukzessive wieder zurückfahren und irgendwann nach 70 dann tatsächlich in den Ruhestand gehen.

3: Für ausreichende und bezahlbare Kinderbetreuung und für Elternzeit, die eine partnerschaftliche Rollenteilung in der Familie unterstützt. Dazu gehört auch, dass unbezahlte Betreuungsarbeit in der Schweiz abgesichert wird.

Ihr Appell an die Frauenwelt:
Es war noch nie schöner als heute als Frau in der Schweiz zu leben. Seid nicht so kritisch mit euch selbst, denkt langfristig und engagiert euch für eure Herzensprojekte.

Ihr Appell an die Privatwirtschaft:
Nutzt die Potenziale und das Engagement der Frauen aber auch von anderen bisher eher marginalisierten Gruppen noch mehr und setzt euch für eine inklusive Arbeitskultur ein. Wir werden in Zukunft ALLE brauchen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Über die Autorin / den Autor

o2AHBToffD

Executive School of Management, Technology and Law

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