…Auf dem Boden wachsen ein wenig wildes Getreide, Erdbeeren und Lauch. Es gibt ein paar einfache Werkzeuge wie Sensen, die rumliegen. Wasser gibt es ausreichend, der fruchtbare Boden ist beschränkt. Die acht Menschen würden wirklich gerne mehr essen, als momentan zur Verfügung steht. Es herrscht Knappheit, wir sind weit entfernt vom Schlaraffenland. Was tun die acht Menschen?
Die acht realisieren bald, dass sie eine prototypische ökonomische Kleingemeinschaft bilden und nennen ihren Flecken Econvillage. Die Dörfler werden selbstverständlich versuchen, den Ertrag aus Weizen, Erdbeeren und Lauch auf den Feldern zu vermehren. Sie tauschen sich ständig untereinander aus, wie die Bewirtschaftung der Felder am erfolgreichsten ist. Die Bewirtschaftung sollte natürlich möglichst viel Ernte bringen, langfristig funktionieren und nachhaltig sein.
Die acht Menschen werden sich über kurz oder lang ein wenig spezialisieren. Der eine ist besonders kräftig und kann am besten das Feld umpflügen. Die andere ist flink und geschickt beim Ernten. Durch das Spezialisieren können die Dörfler noch einiges an zusätzlichem Ertrag herausholen. Doch wenn die Werkzeuge optimiert sind und alle ihre Arbeit dort einsetzen, wo sie das grösste Talent haben, dann kommt die Steigerung des Ertrags erst einmal zum Stillstand. Damit ist Wachstum in Econvillage endlich.
Wenn die Aufgaben nun nach Fähigkeiten verteilt werden, kann man sich gut vorstellen, dass es handfesten Streit um die Verteilung der Ernte gibt. Bekommt der am meisten, der am kräftigsten ist oder der, der am schnellsten ernten kann? Und was ist mit denjenigen, die eine Zeitlang wegen Krankheit ausfallen? Die kann man doch nicht verhungern lassen? Die Econvillager lernen ganz handfest, dass sie nicht im Schlaraffenland leben. Mehr für die einen bedeutet weniger für die anderen. Genauso wie sie sich ständig über die beste Bewirtschaftung austauschen, müssen sie daher auch Verteilungsfragen klären. Dies machen sie mit grosser Vorliebe am Lagerfeuer.
Wirtschaftliche Organisation wird hier also kollektiv gelöst. Und was sollte gegen den Erfolg dieses Modells sprechen? Bringt nicht jeder seine volle Arbeitskraft ein, wirkt sich das sofort negativ auf den Ernteerfolg aus. Hält man sich nicht an die vereinbarten Verteilungsregeln, folgen am Lagerfeuer besprochene Sanktionen. Bei nur acht Personen sieht das wie eine überschaubare Organisationsaufgabe aus. Die Gespräche am Lagerfeuer führen zu der besten Governancestruktur von Econvillage!
ECONVILLAGE100
Stellen wir uns jetzt einmal eine andere Utopie vor. Wir lassen die Weltbevölkerung nicht auf 8 Personen sondern auf 800 schrumpfen. Das Resultat ist eine neue Stätte prototypischer wirtschaftlicher Aktivität, die in jeder Dimension dem Hundertfachen von Econvillage entspricht: hundertmal so viel Personen, hundertmal so viel Fläche an fruchtbarem Boden, Weizen-, Erdbeer- und Lauchpflanzen und Werkzeuge. Dementsprechend heisst die neue Stätte Econvillage100. Die Bewohner von Econvillage100 würden gern ebenfalls mehr essen. Wasser gibt es ausreichend, Boden ist beschränkt verfügbar. Handelt es sich immer noch um eine überschaubare Organisationsaufgabe?
Nehmen wir einmal an, die Econvillage100er organisieren sich wie Econvillage. Sie treffen sich beim Lagerfeuer zu kollektiven Gesprächen. Bald geht es wie im alten Athen: Alle reden gleichzeitig durcheinander, irgendwann setzen sich vielleicht diejenigen mit den lautesten Stimmen durch. Aber das sind immer noch recht viele. Und haben sie wirklich die besten Ideen?
In Econvillage100 setzt sich die Idee durch, dass ein einzelner, eine einzelne, der besonders befähigt ist, die Aufgabe der wirtschaftlichen Organisation von Econville übernehmen soll. Der Auftrag lautet, einen möglichst hohen Ernteertrag zu erzielen. Der oder die Gewählte gibt genau vor, wer auf den Feldern wieviel arbeitet, was in welcher Menge gepflanzt und geerntet werden soll. Verteilungsregeln, wer wieviel vom Ertrag bekommt, werden ebenfalls vorgegeben.
An was erinnert Sie das? Genau, als es noch den Kommunismus gab nannte man das einen Zentralplaner. Und in den Wirtschaftswissenschaften gibt es diese Figur sogar heute noch; zum Glück nur als Fiktion.
Welche Probleme könnte ein Zentralplaner haben, die Wirtschaft von Econville100 möglichst „effizient“ zu organisieren, so dass ein möglichst hoher Ernteertrag erzielt wird? Für einen hohen Ertrag muss er die Individuen gemäss ihrer besten Fähigkeiten einsetzen. Aber wie soll er die Fähigkeiten von 800 einzelnen Menschen kennen? Und noch schwieriger: Er muss auch entscheiden, ob auf einem Stück Boden Lauch, Erdbeeren oder Weizen angebaut werden soll. Wie weiss er, wieviel von was in Econvillage100 am Ende am besten die Bedürfnisse der Bewohner befriedigt? Wie merkt er, wenn sich diese Bedürfnisse ändern, weil auch die Geschmäcker der Econvillage100er der Mode unterliegen und mal Lauch, mal Erdbeeren mehr gefragt sind?
Nach einigen Jahren Erfahrung sind die Econvillage100er nicht glücklich mit der Idee des Zentralplaners. Sie wollen etwas anders versuchen. Sie haben genug davon, vom Unwissen verantwortlicher Personen abhängig zu sein! Sie schwören sich auf ein System ein, wo keine einzige Person die Wirtschaft von Econvillage100 kontrollieren kann. Im neuen System ist für die wirtschaftliche Organisation von Econville dieser verantwortlich: Niemand. Ja genau, sagen die Econvillager, „niemand“ soll für unsere wirtschaftliche Organisation verantwortlich sein, dann sind wir von niemandes Unwissen abhängig!
Was also ist dieses anonyme Niemandssystem? Wie kommen die Eonvillage100er zu dieser unmöglich erscheinenden Phantasterei? Und was kommt dabei heraus? Das erfahren Sie in unserem nächsten Blog…
About the author(s)
Prof. Dr. Johannes Binswanger Professor für Volkswirtschaftslehre
Relevant executive education
Newsletter
Get the latest articles directly to your inbox.