Diese Fragen werden in einer aktuellen Studie adressiert, die die hyper-mobilen Karrierepfade von Personen aus Wirtschaft und Wissenschaft untersucht. Die 26 Teilnehmer*innen der Studie haben durchschnittlich in vier verschiedenen Ländern ausserhalb ihres Herkunftslandes gelebt und gearbeitet, mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von mehr als drei Jahren pro Land. Ihre Mobilität ist ihr soziales, ökonomisches, und vor allem auch kulturelles Kapital. Doch dieses Kapital fordert einen Preis, den nicht alle Menschen zahlen können oder wollen.

Nebst der Erfahrung von Anpassungsschwierigkeiten und der ständigen Neuverhandlung des eigenen sozialen Status als „Neuankömmling“ oder „Ausländerin“ müssen auch Abstriche im Privatleben gemacht werden. Karrieremobilität birgt besondere Herausforderungen für Partnerschaften, das Familienleben und das Aufrechterhalten von Freundschaften. Wem die nötige Unterstützung in Form von organisationalem Support oder familiärem und sozialem Rückhalt fehlt, der bleibt sprichwörtlich „auf der Strecke“. Andere Barrieren entstehen durch den „falschen Pass“ – Personen die nicht aus Europa oder einem westlichen Herkunftsland kommen, müssen mit administrativen Hürden rechnen. Gleichgeschlechtliche Paare wiederum müssen genau hinschauen, in welchen Ländern sie als Paar akzeptiert und willkommen sind.

Doch auch wenn man zu den Privilegierten gehört, für die der globale Karrierepfad offen steht, bleibt die individuelle Herausforderung, sich in einem ständig wandelnden Umfeld ein fluides, zugleich aber stabiles Identitätsgefühl zu bewahren. Meine aktuelle Studie zeigt verschiedene Strategien auf, mit Hilfe derer hyper-mobile Personen eine solche „fluide Stabilität“ erreichen. Zum einen beschreiben diese Personen ihre Neudefinition von „Heimat“. Heimat ist für sie kein geographischer Ort, sondern das Zusammensein mit der Kernfamilie (der Partnerin und den Kindern). Dies führt zu einem mobilen und zum Teil auch multiplen Verständnis von einem „Zuhause“. Auch gewisse Praktiken und Routinen, die man in jedem Land reproduzieren kann (Joggen, Zeitung lesen, einer religiösen Gemeinschaft zugehören etc.), erlauben ein Gefühl der Stabilität an jedem neuen Wohn- und Arbeitsort. Gleichzeitig hilft es, wenn man sich leicht von materiellen Dingen lösen kann und jeden internationalen Wohnortswechsel als Chance empfindet, sich neu zu definieren und sich nicht auf ein bestimmtes Identitätsbild festschreiben zu lassen.

Neben den Auswirkungen globaler Karrieremobilität auf Individuen und ihr direktes soziales Umfeld, wirft die zunehmende Globalisierung der Karrieren auch Fragen rund um ethische Verantwortlichkeiten in einer immer vielfältigeren Gesellschaft auf. Gerade im aktuellen politischen Klima, in dem wir weltweit einen neuen Aufschwung von Rechtspopulismus und Nationalismus beobachten, zeigt sich eine zunehmende Spaltung der Bevölkerung: Auf der einen Seite Menschen, die sich durch Globalisierung und Migration bedroht fühlen und deshalb nationale Grenzen gestärkt sehen wollen. Auf der anderen Seite Personen, die Carlo Strenger (2019) als „liberale Kosmopolitinnen“ bezeichnet, weil sie nach einem Weltbürgertum streben, das nationale Interessen in Frage stellt oder gar als gefährlich erachtet.

Während die Polarisierung der Gesellschaft voranschreitet, stellt sich eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Fragen unserer Zeit: Kann diese Kluft zwischen Nationalistinnen und Liberalistinnen überhaupt noch überbrückt werden? Um dieser Frage nachzugehen, adressiere ich mit meiner aktuellen Studie die potenzielle (ethische) Rolle von Personen, die aufgrund ihres internationalen Karriereweges sowohl eine globale Perspektive einnehmen können, gleichzeitig aber auch in lokalen Communities verankert sind – „verwurzelte Kosmopoliten“ (Appiah, 1998) sozusagen.

So berichten mobile Personen zum Beispiel davon, dass sie sich in jedem neuen Land bewusst um die Integration in die lokale Community bemühen. Gleichzeitig knüpfen sie gezielt Kontakte zu Personen anderer Herkunft, um ihr Interesse für das grössere Weltgeschehen offen zu halten. Sie versuchen die verschiedenen kulturellen Eindrücke, die sie in unterschiedlichen Ländern gesammelt haben, in ihren Alltag zu transportieren und sprechen sich gegen Intoleranz aus. Gleichzeitig zeigen sie aber auch Verständnis für die Sorgen und Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung.

Die ersten Ergebnisse der Studie beleuchten somit, dass Personen, die einen globalen Karriereweg einschlagen, zu einer kulturell aufgeschlosseneren Gesellschaft beitragen können, während sie gleichzeitig lokale Gegebenheiten und Denkweisen respektieren. Ein Hoffnungsschimmer?

Dr. Patrizia Hoyer stellt ihre Studie an der 3. St.Galler Diversity & Inclusion Tagung am 28. August 2019 vor.

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