Digitale Führung im Umbruch
In den letzten Jahren hat der Einsatz digitaler Tools für das das Tracking von Projektfortschritten sowie die Unterstützung von Zusammenarbeit im Team deutlich zugenommen. Mit der Integration von KI-Technologien wird das Potenzial digitaler Lösungen in der Führungspraxis noch deutlicher. Entsprechend wächst die Unsicherheit unter Führungskräften, ob die rasante Entwicklung von KI Führung in Zukunft obsolet machen wird. Die zentrale Aufgabe von Führung wird es jedoch auch in Zukunft sein, die psychologischen Grundbedürfnisse der Mitarbeitenden – wie Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit – zu befriedigen. (Deci & Ryan, 2000; Van den Broeck et al., 2016). Können diese wirklich durch KI adressiert werden oder braucht es den «Human Touch»?
KI als Co-Pilot: Verbesserung der Führungsfunktionen
KI spielt schon heute eine bedeutende, unterstützende Rolle im Bereich der Führung, indem sie Echtzeit-Feedback zur Leistung der Mitarbeitenden und zur Optimierung der Arbeitsabläufe bietet. KI-Systeme unterstützen das Management von Teamdynamik, sie helfen dabei, Engpässe zu identifizieren und stellen individualisiertes Feedback und Entwicklungsempfehlungen bereit. Dadurch werden sowohl die Autonomie als auch die Kompetenz der Mitarbeitenden gestärkt, was KI zu einem wertvollen Werkzeug in Führungsfunktionen macht (Quaquebeke & Gerpott, 2023).
Doch trotz dieses grossen Potenzials haben viele Menschen ein ungutes Gefühl, wenn KI in wichtige Führungsentscheidungen einbezogen wird. Während 65 % der Befragten in einer kürzlich durchgeführten Studie glaubten, dass KI organisatorische Strategien entwickeln könnte, äusserten 69 % Bedenken dahingehend, dass KI-basierte Entscheidungen über Einstellungen, Beförderungen oder die Aufgabenverteilung treffen könnte. Ebenso fühlten sich nur 45 % wohl dabei, von KI generiertes Feedback zu erhalten. 57 % bezweifelten, dass KI in der Lage sei, ihr Verhalten ebenso gut zu verstehen wie ein Mensch (Hougaard, 2024). Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass KI die menschlichen Fähigkeiten bei bestimmten Führungsaufgaben bereits übertroffen haben könnte. So fanden Tang et al. (2023) heraus, dass Mitarbeitende, die KI-generiertes Feedback erhielten, besser abschnitten als Mitarbeitende, die Feedback von menschlichen ManagerInnen erhielten, es sei denn, sie wussten, dass KI in den Prozess eingebunden war. Trotz vielversprechender Beweise zögern Menschen weiterhin, die Führung an KI-Tools zu delegieren. Während algorithmische Entscheidungen über technische Aufgaben wie Arbeitszuweisung und Zeitplanung als fair und angemessen angesehen werden, wird der KI dieses Vertrauen nicht in Bezug auf Einstellungsentscheidungen oder Leistungsbewertungen entgegengebracht (Lee et al., 2018).
Dieses Paradoxon, das als „Einsatz- vs. Offenlegungs-“-Effekt bekannt ist, beschreibt den Widerspruch, dass die Fähigkeit von KI, grosse Datensätze zu analysieren, die Entscheidungsfindung verbessern kann. Zugleich untergräbt jedoch die Offenlegung einer Beteiligung von KI an Führungsentscheidungen das Vertrauen der Mitarbeitenden (Lee et al., 2018). Darüber hinaus führt eine übermässige Abhängigkeit von und Arbeit mit KI bei alltäglichen Aufgaben zu einem höheren Mass an Isolation und einem geringeren Wohlbefinden (Tang et al., 2023). Die Unfähigkeit der KI, eine reelle soziale Beziehung einzugehen, stellt ihre Wahrnehmung als „sozialer Agent“ in Frage (Epley et al., 2007) und unterstreicht die Notwendigkeit für menschliche Führungskräfte, auf die emotionalen und relationalen Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen.
Unternehmen sind auf die KI-Transformation nicht vorbereitet
Eine kürzlich vom Institut für Führung und Personalmanagement der HSG durchgeführte Studie in 73 Unternehmen zeigt, dass nur 13 % der Firmen die notwendige Kultur, Kompetenz und Infrastruktur aufgebaut haben, um von der KI-Transformation zu profitieren. Weitere 40 % haben KI-bezogene Praktiken eingeführt, tun sich aber schwer, diese in eine Leistungssteigerung zu überzusetzen. 46 % haben die Weichen für die digitale Transformation noch nicht gestellt. Besonders hoch ist dadurch der Technostress bei den älteren Generationen: 44 % der Babyboomer berichten von erheblichem Stress aufgrund neuer digitaler Anforderungen. Auch bei den jüngeren Generationen ist dieses Problem vorhanden, wenn auch weniger ausgeprägt: 32 % der Generation X, 19 % der Generation Y und 18 % der Generation Z sind davon betroffen. Darüber hinaus fehlt es in 86 % der Unternehmen an starken Vorbildern im Bereich der digitalen Medien, insbesondere auf der mittleren und unteren Führungsebene. Diese Führungslücke spiegelt sich im Mangel an KI-Schulungsprogrammen wider – nur 21 % der Unternehmen bieten KI-Schulungen an, und nur 4 % bieten Programme im Zusammenhang mit dem Metaverse an. Um die Akzeptanz neuartiger Technologien zu fördern und die Mitarbeitenden in die Lage zu versetzen, diese erfolgreich in ihre Arbeitsabläufe zu integrieren, müssen Unternehmen die Entwicklung technologischer als auch zwischenmenschlicher Fähigkeiten zur Bewältigung der KI-Transformation priorisieren.
Schlussfolgerung: Die Zukunft von Führung und KI
Wir können davon ausgehen, dass Künstliche Intelligenz in Zukunft mehr datengesteuerte Führungsaufgaben übernehmen wird, menschliche Führungskräfte werden jedoch weiterhin unverzichtbar sein. Daher müssen Unternehmen die erforderlichen Grundlagen schaffen, um die Stärken der KI zu nutzen und gleichzeitig die einzigartigen menschlichen Elemente der Führung wieder in den Vordergrund zu rücken. Die KI-Transformation bietet eine aussergewöhnliche Möglichkeit, sich wieder auf die Führungsaufgaben zu fokussieren, die einen reellen Mehrwert schaffen. Wir raten Unternehmen dringend, ihre Organisationskultur, ihre Personalabteilungen und ihre digitale Infrastruktur so auszurichten, dass sie auf dieser Basis die KI-Transformation erfolgreich meistern und die Arbeitswelt 5.0 aktiv gestalten können.
Quellen:
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000). The ‘What’ and ‘Why’ of Goal Pursuits: Human Needs and the Self-Determination of Behavior. Psychological Inquiry, 11(4), 227–268.
Epley, N., Waytz, A., & Cacioppo, J. T. (2007). On seeing human: A three-factor theory of anthropomorphism. Psychological Review, 114(4), 864–886.
Hougaard, R. (2024, May 8). To AI Or Not To AI: The Question Is When, Not If. Forbes. https://www.forbes.com/sites/rasmushougaard/2024/01/25/to-ai-or-not-to-ai-the-question-is-when-not-if/?sh=3392cfac346c
Lee, M. K. (2018). Understanding perception of algorithmic decisions: Fairness, trust, and emotion in response to algorithmic management. Big Data & Society, 5(1), 205395171875668.
Quaquebeke, N. V., & Gerpott, F. H. (2023). The Now, New, and Next of Digital Leadership: How Artificial Intelligence (AI) Will Take Over and Change Leadership as We Know It. Journal of Leadership & Organizational Studies, 30(3), 265–275.
Tang, P. M., Koopman, J., Mai, K. M., De Cremer, D., Zhang, J. H., Reynders, P., Ng, C. T. S., & Chen, I.-H. (2023). No person is an island: Unpacking the work and after-work consequences of interacting with artificial intelligence. Journal of Applied Psychology, 108(11), 1766–1789.
Van Den Broeck, A., Ferris, D. L., Chang, C.-H., & Rosen, C. C. (2016). A Review of Self-Determination Theory’s Basic Psychological Needs at Work. Journal of Management, 42(5), 1195–1229.
Yin, Y., Jia, N., & Wakslak, C. J. (2024). AI can help people feel heard, but an AI label diminishes this impact. Proceedings of the National Academy of Sciences, 121(14), e2319112121.
Über die Autorin / den Autor
Dr. oec. HSG Sophie Klüser Postdoktorandin und Lehrbeauftragte
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