Was bedeutet Resilienz?

Der Begriff Resilienz (lat.: resilire für «zurückspringen» oder «abprallen») ist nicht einheitlich definiert. Eine schöne Definition bietet die Materialkunde, wonach jene Stoffe als resilient bezeichnet werden, die auch nach extremer Beanspruchung wieder in ihren Ursprungszustand zurückkehren (vgl. hierzu elastische vs. plastische Verformung). Und laut duden.de bezeichnet Resilienz die «psychische Widerstandskraft [und] Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen». Als Sinnbild hierfür bietet sich zum Beispiel der Bambus oder – wer es etwas sportlicher mag – das Thera-Band an.

Notwendigkeit der Widerstandsfähigkeit

Unser heutiges Umfeld ist mehr denn je von sich schnell und stark verändernden Rahmenbedingungen geprägt. Die letzten zwei Jahrzehnte können ohne Übertreibung als Politikkrise bezeichnet werden (z.B. Terrorismus, Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Pandemie, Russland/Ukraine, Klimakrise, Energiekrise, Inflation, Handelskriege). Störungen mit globalen Veränderungen und Beeinträchtigungen (Stichwort: VUCA-Welt), denen man sich nicht entziehen konnte, folgten in kurzen Abständen. Als wäre das nicht genug, rückt in den westlichen Gesellschaften das Thema Werte immer mehr in den Fokus und übt Druck auf weiteren Ebenen aus. Alles hängt mit allem zusammen und jeder Einzelne ist heute mehrfach mit seiner Umwelt vernetzt und systemisch eingebunden. Es braucht die Fähigkeit, flexibel und widerstandsfähig zu reagieren, ohne den Anspruch zu haben, zwischendurch genügend Zeit für eine angemessene Regeneration zu finden. Dazu muss man an die eigene Veränderungskraft glauben und diese auch aufbringen können.

Relevanz im Rechtsberuf

Jurist:innen und Anwält:innen, und damit sind in erster Linie jene in Rechtsabteilungen und Kanzleien gemeint, stehen heute von verschiedenen Seiten unter grossem Druck. Die Erwartungen der Klient:innen sind hoch und der Wettbewerb nimmt zu. Die fortschreitende Digitalisierung ist besonders für «Knowledge Worker» von Bedeutung, und der Umgang mit neuen Generationen und deren veränderten Bedürfnissen stellt erfolgreiche Geschäfts- und Arbeitsmodelle in Frage.

Vorgesetzte teilen diesen Druck mit ihren Mitarbeitenden oder geben ihn an sie weiter. Diese wiederum stehen nicht nur unter dem fachlichen Druck, keine sachlichen Fehler zu machen (Stichwort: Haftung), sondern auch unter einem hohen Zeit- und Termindruck, da viele Pendenzen parallel abgearbeitet werden müssen. Alle diese Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten, ist schon eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass die täglich zu erbringenden Leistungen karriererelevant sind, d.h. über Weiterbeschäftigung, Gehaltserhöhungen bzw. Bonuszahlungen, Beförderungen und andere Entwicklungschancen entscheiden. Und Frauen haben noch weitere Herausforderungen zu meistern. Ergänzt man den beruflichen Leistungsdruck noch mit dem privaten Umfeld (z.B. Partner/in, Kinder, Familie, Freunde, Freizeit), kann der Arbeitsalltag schnell zur Belastungsprobe werden. So ist es nicht verwunderlich, dass Themen wie Stress, Wohlbefinden, Burnout und Alkohol- bzw. Drogenkonsum leider bereits als Branchenproblem thematisiert werden.

Resilienz als Thema des Selbstmanagements

Überdurchschnittliche Leistungen, hohe Arbeitsintensität und ehrgeizige Ziele sind grundsätzlich nichts Schlechtes. Resilienz bedeutet auch nicht Stillstand, sondern sichert nicht nur den Erhalt der eigenen Beschäftigungsfähigkeit, sondern ermöglicht auch nachhaltiges Wachstum. Allerdings gilt es, die eigenen Grenzen zu erkennen und sich daran zu orientieren. In erster Linie ist jeder Mensch für sich selbst verantwortlich. Er muss dafür sorgen, dass die Belastungen für Körper, Geist und Seele keine bleibenden Schäden hinterlassen. Und um beim eingangs erwähnten Bild des Bambus zu bleiben: Es geht darum, trotz widriger Umstände immer wieder ohne bleibende Schäden in den ursprünglichen Zustand zurückkehren zu können und dabei weiter zu wachsen. Das Geheimnis liegt wohl auch darin, kommende Störungen und Herausforderungen frühzeitig zu erkennen, sich im Vorfeld sorgfältig darauf vorzubereiten und seine Resilienz kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dann muss man auf Überraschungen nicht impulsiv und unkontrolliert reagieren. Aber auch Arbeitgeber:innen und Berufsverbände tragen eine grosse Verantwortung. Im Gegenteil: Resilienz ist nicht nur ein individuelles Thema, sondern gilt auch für andere Systeme wie ein Unternehmen, die Wirtschaft, eine Gesellschaft, einen Staat und die ganze Erde. Damit schliesst sich der Kreis zur eingangs erwähnten Nachhaltigkeit.

Fazit

Strategien, Modelle und Ansätze, wie man individuelle und situative Risikofaktoren erkennen, sich vor Verletzungen schützen und die eigene Resilienz erhöhen kann, gibt es viele. Es geht vor allem darum, sich der Thematik bewusst zu werden, sich selbstkritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls – vielleicht auch unangenehme – Entscheidungen zu treffen und Veränderungen herbeizuführen. Wie heisst es so schön: Schlechtes Wetter kann man nicht verhindern, aber mit der richtigen Kleidung lässt es sich besser ertragen. Und ein bisschen Optimismus und Hoffnung kann auch nicht schaden.

Über uns

Der Geschäftsbereich «Law & Management» der Executive School der Universität St.Gallen (HSG) bietet seit 2007 auf allen Stufen (Wochenseminare, CAS, DAS, Executive Master) aktuell acht Themengebiete als offene Programme und massgeschneiderte Inhouse-Angebote an. Bisher haben mehr als 1600 Teilnehmende die laufend aktualisierten und erweiterten offenen Weiterbildungsformate besucht. Das 2021 eingeführte umfassende Weiterbildungsformat ist ein klares Bekenntnis zum lebenslangen Lernen, indem neu alle Kurse konsequent modular aufgebaut sind sowie zeitlich flexibel und gemäss individuellen Bedürfnissen zusammengestellt werden können. Darüber hinaus werden folgende Weiterbildungsziele verfolgt: vielfältige Karriere-Perspektiven und -Optionen kennenlernen, Netzwerke auf- und ausbauen, neue Methoden und Tools erschliessen und generell die eigenen Horizonte erweitern.

Über die Autorin / den Autor

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Prof. Dr. Bruno Mascello Academic Director Law & Management

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