Den einfachen Teil vorweg: In diesen unsicheren Zeiten stellen sich ungewohnte Fragestellungen. Dies betrifft v.a. rechtliche Fragen rund ums Arbeitsrecht (Bekomme ich meinen Lohn?), Gesellschaftsrecht (Wie kann ich die Generalversammlung durchführen?), Corporate Governance (Wofür haftet der Verwaltungsrat?), Vertragsrecht (Gilt das als Force Majeure?), Mietrecht (Liegt ein Mangel vor?), Privatversicherungsrecht (Wer bezahlt die Annullation der Reise?) und Sozialversicherungsrecht (Kann ich Kurzarbeit anmelden?). Diese Tätigkeiten zählen zum Grundhandwerk von Anwälten: Sie haben eine richtige Rechtsauskunft zu erteilen, allenfalls mit dem erforderlichen Vorbehalt. (vgl. hierzu das kürzliche Webinar der HSG)

Etwas schwieriger wird es beim Risiko- und Krisenmanagement. Zunächst sind die beiden Bereiche voneinander zu unterscheiden, die eigenen Regeln folgen und entsprechend unterschiedliche Kompetenzen erfordern. Ersterer dient der umsichtigen Vorsorge, damit ein unerwünschtes Ereignis gar nicht erst eintritt bzw. sich wenigstens nicht mit der vollen Wucht entfaltet, letzterer bezieht sich auf den richtigen Umgang mit einem bereits eingetretenen Ereignis.

Beim Risikomanagement wird also in die Zukunft geschaut und es wird beurteilt, wie wahrscheinlich der Eintritt eines Ereignisses ist und mit welchen Folgen man schlimmstenfalls rechnen muss. Entsprechend werden Massnahmen getroffen, um den Eintritt wunschgemäss zu steuern. Zu diesem Zweck werden Anwältinnen und Anwälte v.a. zur Beurteilung von Rechtsrisiken herangezogen. Das geht mit einer einfachen Frage, die jeder bestens kennt: Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich meinen Fall gewinne und wenn nicht, was wird mich das insgesamt kosten? Solche Fragen treiben gewissen Anwälten und Anwältinnen bereits die ersten Schweissperlen auf die Stirn.

Noch schwieriger wird es aber, wenn es ums Krisenmanagement geht. Dort sind nochmals andere Qualitäten gefragt: Kommunikationsfähigkeit, Leadership und Management. Dabei fühlen sich Anwältinnen und Anwälte v.a. im Bereich Kommunikation herausgefordert, z.B. bei der Beurteilung einer Pressemitteilung (Riskiert man mit einer Aussage später eine Haftung?). Die Kommunikation in der Krise folgt aber anderen Regeln und Zwecken; es geht dabei prospektiv getrieben um die rechtzeitige Verhinderung eines künftig noch grösseren Schadens und nicht retrospektiv gedacht um die Liquidierung eines bereits erfolgten Schadens. Bereits hier wird es für Anwälte und Anwältinnen im Umgang mit ihren Kunden kritisch, wenn sie sich zu risikoavers verhalten, sich nicht als Teil vom Krisenteam verstehen, am Geschäftsrisiko nicht partizipieren wollen und stattdessen stets auf Nummer sicher gehen wollen. Es geht in einer Krise nicht darum, alle möglichen Risiken zu vermeiden und für den Kunden jede erdenkliche Haftung auszuschliessen. Der Kunde erwartet in dieser ausserordentlichen Situation mehr als nur eine korrekte Rechtsauskunft, sondern eine realistische Einschätzung der Umstände unter Berücksichtigung seiner aktuellen Geschäftssituation.

Und damit kommt der dritte Teil ins Spiel: Kundenorientierung. Gerade in Krisenzeiten sind Kunden sehr angespannt und werden – aus Sicht des Kunden! – auf entsprechend gute und schlechte Serviceleistungen sensibler reagieren. Das bietet eine gute Gelegenheit, um die vielbeschworene Vertrauensbeziehung nachhaltig zu festigen oder einen Kunden auf immer zu verlieren. Wer wirklich ein sogenannter Trusted Advisor sein will, kann das jetzt direkt unter Beweis stellen bzw. muss es sich verdienen. Denn jetzt heisst es für Kunden und ihre Anliegen da zu sein (ja, am besten 7×24), ihre Verunsicherung zu reduzieren (viele sind in ihrer Existenz bedroht), sich grosszügig zu zeigen (Vorsicht bei Honorarrechnungen) und Gutes für den Kunden zu tun und es auch zu zeigen, oder einfacher ausgedrückt: den Extrameter zu gehen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Und das Vorgenannte gilt natürlich auch nach innen gegenüber den eigenen Mitarbeitenden. Auch dort ist nun umsichtiges Risiko- und Krisenmanagement sowie Leadership, klares Management und insbesondere eine klare Kommunikation gefragt. Denn nur richtig motivierte Mitarbeitende werden die geforderte Kundenzufriedenheit (CX) sicherstellen und für den Arbeitgeber auch morgen noch da sein.

Zurück zur Eingangsfrage: In Krisen zeigt sich nicht nur das Gute im Menschen, sondern eben auch das Schlechte. Anwältinnen und Anwälte können sich in der heutigen Zeit natürlich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und weiter nur Rechtsauskünfte erteilen. Wer sich aber nach innen und aussen als echter Risiko- und Krisenmanager verstehen und bewähren will, dem bietet sich jetzt eine gute Gelegenheit, um aus dieser Krise vielmehr gestärkt hervorzugehen. Denn Risiko bedeutet schliesslich nicht nur Gefahr, sondern eben auch Chance! Nutzen Sie die Gelegenheit!

Über die Autorin / den Autor

1 Bruno Mascello UNI SG PORTRAIT 0112222287 INTERNET

Prof. Dr. Bruno Mascello Academic Director Law & Management

Newsletter

Die neusten Beiträge direkt ins Postfach.

Newsletter [DE]

Beitrag teilen

Weitere Beiträge

  • Future of Work und die Rolle von Diversity, Equity & Inclusion

  • Leadership im Umbruch: Fünf Trends einer modernen Führung

  • Ist die Zukunft der Arbeit auch für den Rechtsmarkt relevant?

  • Warum inklusive Führung für alle Generationen wichtig ist

  • Brauchen junge Jurist:innen auch Leadership? Einteilung nach Generationen – etwas willkürlich, aber nützlich