Seit den frühen 2000er-Jahren reisen Hunderte von hochrangigen Führungskräften jährlich zum Unternehmertag nach Liechtenstein. Und ähnlich lange ist die Digitalisierung bereits das Kernthema. Dutzende Redner haben im Lauf der Zeit das Internet, Netzwerke, das Web und die sozialen Medien erklärt. Aktuell stehen Blockchains, das Internet der Dinge, Kryptowährungen und ähnliche Modewörter im Fokus.

Wirft man einen Blick auf vergleichbare Konferenzen, so ist unabhängig von dem Aspekt der Digitalisierung, der behandelt wird, stets Angst die treibende Kraft. Die Angst vor dem Abbau von Arbeitsplätzen, dem Verlust von Kunden, vor innovativen Wettbewerbern, verlorenen Chancen und Schwerfälligkeit. Die Diskussion dreht sich immer um Risiko und – manchmal – Chancen. Und die angebotenen Lösungen sind auch stets ähnlich: seien Sie mutig, nehmen Sie das Neue an, denken Sie wie ein Start-up, seien Sie so jung und aufgeschlossen wie Ihre Mitarbeitenden. Wir erwarten von jedem, der über Digitalisierung spricht, das nächste technologische Schreckensgespenst auszumalen, nur um uns dann als Ratschlag zu geben, es mit der Naivität und Kreativität eines Kindes davonzujagen.

Es war erfrischend zu sehen, dass auf dem Unternehmertag jemand zur Abwechslung mal eine andere Geschichte erzählt. Dr. Stephan Sigrist, Schweizer Gründer des Think-Tanks W.I.R.E.,  versuchte, den versammelten Führungskräften zu vermitteln, dass etablierte Unternehmen es sich nicht mehr leisten können, sich blind an diese Richtlinien zu halten. All die Panikmache und Nervosität in Bezug auf Industrie 4.0 und ähnliche Abkömmlinge der Digitalisierung sorgen nicht für mehr Motivation bei den Beschäftigen, sondern wirken vielmehr betäubend. Wichtiger als Menschen dazu zu bringen, das Neue anzunehmen, ist, ihnen im Rahmen der anstehenden Neuerung glaubhaft zu vermitteln, dass sie nicht auf der Strecke bleiben.

Dr. Sigrist appelliert an unser natürliches Bauchgefühl, wenn wir mit den verzweifelten Botschaften zum Thema Digitalisierung konfrontiert werden. Er fordert die Öffentlichkeit dazu auf, ihr mit einer besonnenen, positiven Sicht der Veränderung zu begegnen, zu akzeptieren, dass man auch einmal nein sagen darf und nicht jede Innovation sofort umsetzen muss, und zu versuchen zu verstehen, was man tut. Es gibt die passende Zeit und den passenden Ort für experimentierfreudige Verzweiflungstäter, doch es wächst die Ansicht, dass es auch vernünftiger, positiver Beobachter bedarf, die das grosse Ganze im Auge behalten. Es gibt also immer mehr Vertreter des Ansatzes, zuerst sein Geschäft und seine Kunden zu verstehen und erst dann die Technologie. Die Kernaussage: Branchen, die ihr tägliches Brot verdienen müssen, sollten Technologie nicht um ihrer selbst willen anstreben, sondern aufgrund ihrer tatsächlichen, konkreten Wertschöpfung – und zwar nachhaltigen Wertschöpfung.

Wie Dr. Sigrist teilten auch die anderen Redner die Auffassung, dass das Thema Digitalisierung derzeit allgegenwärtig ist. Sie hat das Teenageralter erreicht, ist kein kindischer Hype mehr, doch ebenso wenig ein ausgereiftes Konzept. Wir wissen immer noch nicht, wo sie hinführt und wie wir es richtig machen, aber wir haben schon viel gelernt. Das Gelernte nun in die Geschäftswelt zu übertragen, darin liegt die Herausforderung.

Eine letzte Anmerkung, etwas zum Nachdenken: Gelegenheiten, die vielen verwehrt bleiben, einschliesslich dieser Konferenz (aber nicht nur), sind der Grund, warum Digitalisierung und Technologie immer noch 50 Prozent der Weltgemeinschaft nicht erreichen. Wir haben es hier weiterhin mit einer Männerdomäne zu tun, von Männern an Männer. Man kann sich nur die Frage stellen, ob es wirklich so schwer ist, Frauen auf dem Gebiet der Technologie zu finden. Ich wage es zu bezweifeln.

Über die Autorin / den Autor

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Julio Prina Technology & Innovation Manager

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