1. Leistungsvariable Vergütung: Heiß begehrt und doch umstritten

Lohnumfragen in Deutschland und der Schweiz zeigen: Mehr als 80 % der befragten Unternehmen ergänzen den Fixlohn um Bonuszahlungen. Die leistungsvariable Vergütung, plastisch gesprochen die den Mitarbeitenden vorgehaltene „Karotte“, die als einmalige Zulage an individuelle Zielerreichung oder Kennzahlen gekoppelt ist, scheint also weiterhin als Best Practice zu gelten. Allerdings regt sich in der Forschung schon seit einiger Zeit Kritik am universellen Gebrauch von leistungsvariabler Vergütung. Auch die Praxis bewegt sich. So haben im letzten Jahr einige große Unternehmen wie Bosch, Daimler oder die Deutsche Bahn dieses Steuerungsinstrument abgeschafft oder planen die Abschaffung. Andere, wie das bekannte Designunternehmen IDEO, haben von Anfang an auf die Verknüpfung von Zielerreichung und kurzfristiger Belohnung verzichtet.

Das Augenmerk dieses Beitrages liegt darauf, die Wirkung leistungsvariabler Vergütung in Unternehmen aufzuzeigen und zu diskutieren. Unser Beitrag beginnt mit einer kurzen Darstellung der konzeptionellen Grundlagen. Wir skizzieren die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale leistungsvariabler Vergütung. Nachfolgend gehen wir auf die Schattenseiten leistungsvariabler Vergütung ein. Wir erläutern forschungsbasiert, warum sich eine Abkehr von leistungsvariabler Vergütung gerade in der heutigen Arbeitswelt durchaus lohnen könnte. Abschließend ziehen wir ein Fazit und zeigen alternative Wege auf, wie Unternehmen ihre Mitarbeitenden zu mehr Leistung anspornen können.

2. Leistungsvariable Vergütung: Form und Zweck

Vergütungssysteme sind ein wesentlicher Bestandteil der Personalsteuerung. Vergütungssysteme, und insbesondere die leistungsvariable Vergütung, sollen das Verhalten und die Einstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Erreichung von Unternehmenszielen lenken. Im Kern wird erwartet, dass Vergütungssysteme den Erfolg einer Organisation sichern. Das Spektrum von Vergütungsformen ist vielfältig: Mitarbeiterbeteiligung, Fixgehalt, individuelle oder teambasierte leistungsvariable Entlohnung, oder auch Fringe Benefits wie etwa die betriebliche Altersvorsorge können Bestandteil eines Vergütungssystems sein.

Leistungsvariable Vergütung ist dabei die bekannteste und auch eine verbreitete Vergütungsform. Sie setze die richtigen Anreize – so die Hoffnung –, um Talente anzulocken, die Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden zu erhöhen und unerwünschte Abgänge zu verringern. Leistungsvariable Vergütung umfasst sämtliche Formen der nicht fixen Vergütung. Was dabei als „Leistung“ definiert wird, hängt von den Zielgrößen eines Unternehmens ab. So kann die Leistung eines Verkäufers sowohl am Verkaufsumsatz als auch an anderen Kriterien wie etwa der Anzahl positiver Feedbackpunkte durch Kunden oder auch am „netten Auftreten“ gemessen werden.

Die verschiedenen Formen leistungsvariabler Vergütung lassen sich anhand von drei Kriterien charakterisieren (vgl. Abb. 1):

  • Monetäre vs. nicht monetäre Belohnung: Erhalten Mitarbeitende eine materielle (z.B. leistungsvariable Prämien) oder nicht materielle Belohnung (z.B. informelle Wertschätzung durch Auszeichnungen ohne finanzielle Zuschüsse)?
  • Individuelle vs. kollektive Bemessung: Orientiert sich die Vergütung an der individuellen (z.B. Einzelprämie) oder der kollektiven (z.B. Mitarbeiterbeteiligung) Leistung?
  • Ex-ante- vs. Ex-post-Bemessung: Orientiert sich die Vergütung an einem vorab definierten Ex-ante-Zielekatalog oder an Kriterien, die nach der Leistungsperiode, also ex post, bestimmt werden? Meist sind Boni an klar und vorab definierte Ziele bzw. den Zielerreichungsgrad gebunden. Andere Formen der leistungsvariablen Vergütung werden nach bereits erfolgter und überraschend positiver Leistung ausgesprochen, so bspw. Auszeichnungen oder spontane Prämien.

Abb1

Gegenwärtig wird insbesondere die variable Vergütung kontrovers diskutiert. Aus Sicht der standardökonomischen Theorie ist vor allem eine monetäre, individuelle und ex-ante an eine klar definierte Zielgröße gebundene Vergütung zielführend. Die Grundannahme ist, dass extrinsisch motivierte Akteure in vorhersehbarer Weise auf externe Anreize reagieren: Sie lassen sich durch einen gezielten Einsatz von Belohnungen oder Sanktionen steuern. Zentrale Vorhersage ist folglich, dass Individuen ihre Arbeitsanstrengung dann erhöhen, wenn die Anreizsysteme die Entlohnung möglichst eng an ihre Leistung koppeln – „tue dies, dann bekommst du das“ (vgl. Weibel et al., 2007, S. 5).

Viele Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass dieser einfache Mechanismus nicht immer funktioniert (siehe Kapitel 3). Vielmehr setzt leistungsvariable Vergütung oftmals beträchtliche Fehlanreize (siehe Kapitel 4) und wirkt sich negativ auf softe Erfolgsfaktoren aus: Diese Vergütungsform, so zeigen viele Studien, beeinflusst die intrinsische Motivation von Mitarbeitenden negativ. Sie kann zu einer Söldner- statt einer unternehmenspatriotischen Mentalität führen, unerwünschte Fluktuation begünstigen und die Gefahr erhöhen, auszubrennen (Kapitel 5).

3. Leistungsvariable Vergütung und Mitarbeiterleistung

Organisationsforscher sind sich einig: Leistungsvariable Vergütung wirkt positiv auf Mitarbeiterleistung, wenn es sich um einfach beeinflussbare, gut messbare und eher langweilige Tätigkeiten handelt (vgl. z. B. Weibel et al., 2010, S. 397).

Beispiel: Produktivitätssteigerung bei einfachen Tätigkeiten

Der Wirtschaftswissenschaftler Edward Paul Lazear (1999) untersuchte die Wirkung von leistungsvariabler Vergütung auf die Arbeit im Unternehmen Safelite. Safelite repariert und ersetzt Windschutzscheiben von Autos. Das Unternehmen stellte im Jahr 1995 das eigene Vergütungssystem von einem Fixlohnsystem auf ein Akkordlohnsystem um. Die Transformation wurde mit einer Besitzstandsgarantie vorangetrieben: Auch im neuen Stücklohnsystem würde ein Arbeiter mindestens auf das Entgelt des Fixlohns kommen. Die Umstellung auf das neue Lohnsystem war höchst erfolgreich. Die Leistung der Mitarbeitenden stieg im ersten Jahr um mehr als 20 %. Im zweiten Jahr kam nochmals eine Leistungssteigerung von ca. 20 % dazu. Lazear (1999) schrieb den Erfolg des neuen Lohnsystems zwei Effekten zu. Im ersten Jahr verhielten sich die Mitarbeitenden wegen des Akkordlohns zielgerichteter und konnten daher die für das Unternehmen relevante Zielgröße verbessern. Den Erfolgszuwachs im zweiten Jahr sah er in einer Fluktuation begründet: Weniger geeignete Mitarbeitende verließen den Betrieb, geschickte und flinke Windschutzscheibenmonteure kamen neu hinzu. Leistungsvariable Vergütung hatte also auch einen positiven Einfluss auf die Variablen „Selektion“ und „gewollte Fluktuation“.

Allerdings gilt dieser positive Zusammenhang nicht für alle Tätigkeiten. Einige Studien und Meta-Analysen demonstrieren, dass sich leistungsvariable Vergütung negativ auf die Leistung auswirken kann. Ariely et al. (2009) zeigen auf der Grundlage von Experimenten, dass insbesondere „Denkarbeit“ negativ durch die Vergütungsform beeinflusst wird. Jenkins et al. (1998) belegen auf Basis einer Meta-Analyse, dass sich leistungsvariable Vergütung zwar positiv auf quantitative Arbeiten auswirkt, aber keinen leistungssteigernden Effekt auf die Qualität der Ergebnisse zeigt. Diese Untersuchung wird durch eine weitere Meta-Analyse von Cerasoli et al. (2014) bestätigt und erweitert. Die Autoren zeigen außerdem, dass intrinsische Motivation für qualitative Aufgaben zielführender ist. Weibel et al. (2010) kommen in ihrer Meta-Analyse, der Experimente zugrunde lagen, zu folgendem Schluss: Leistungsvariable Vergütung wirkt sich negativ auf die Mitarbeiterleistung aus, wenn sie für interessante, intrinsisch motivierende Tätigkeiten angewendet wird. Erklärungsansätze für die hier thematisierten negativen Zusammenhänge zwischen leistungsvariabler Vergütung diskutieren wir in den folgenden zwei Kapiteln.

4. Fehlanreize durch leistungsvariable Vergütung

Die Ökonomen sprechen vom Multi-Task-Problem und die Psychologen fragen, „warum belohnen wir eigentlich A, wenn wir B wollen?“. Beide meinen, dass Boni häufig zu Verzerrungen führen: Wir konzentrieren uns auf die lohnenswerten (und messbaren) Aufgaben und vernachlässigen die anderen. Beispiele hierfür gibt es viele. So erhielten Lehrende in einigen Staaten der USA einen Bonus für besonders gute Abiturnoten ihrer Schülerinnen und Schüler. Die Konsequenz war vorhersehbar: Die Noten wurden besser. Gleichzeitig aber konzentrierten sich die Lehrer fortan vermehrt auf den Test-Drill und kaum mehr darauf, das Interesse der Schüler am Unterrichtsstoff und damit am lebenslangen Lernen zu fördern, oder zur kritischen Auseinandersetzung mit Lehrmeinungen zu ermuntern. Zudem fingen die Lehrer in den höheren Klassen an, schwache Schüler möglichst schnell aus ihrer Klasse zu „versetzen“ (vgl. Fryer, 2013, S. 391 ff.). Ähnliche Beispiele finden sich im Gesundheitsbereich. In Großbritannien wurden Ärzte für die Durchführung von Vorsorgeuntersuchungen leistungsvariabel vergütet. Auch hier wirkte die „Karotte“, denn mehr Patienten wurden zu Vorsorgeuntersuchungen überredet – nur fanden auch mehr unnötige Untersuchungen statt und es kam darüber hinaus zu mehr Fehldiagnosen (vgl. Eijkenaar et al., 2013, S. 125). Im Finanzsektor ist dieser Effekt ebenfalls bekannt: Börsenhändler oder Policen-Verkäufer etwa, die in erster Linie nach Umsatz bezahlt werden, tendieren dazu, eher hohe Risiken für das Unternehmen einzugehen (vgl. z. B. Freeman/Wells, 2014, S. 132). Dies war sicher ein beitragender Faktor für die Krise im Finanzsektor.

Durch extrinsische Belohnung gewinnt das Monetäre zusätzlich an Bedeutung. Anders gesagt: Das Erreichen der „Karotte“ rückt kognitiv stark in den Vordergrund. Durch diesen Fokus auf das Geld wird instrumentelles Denken und Handeln am Arbeitsplatz intensiviert. Dieses Phänomen ist in der Forschung auch als Money-Priming-Effekt bekannt (vgl. z. B. Beus/Whitman, 2017, S. 3 ff.). Es findet eine Prioritätenverschiebung statt. Anstatt sich auf wichtige Aufgaben zu konzentrieren, bewirkt dieser Effekt eine stärkere Ausrichtung auf das, was explizit belohnt wird. Zudem denken Mitarbeitende verstärkt über Geld nach und wählen, wo dies möglich ist, die Tätigkeiten aus, die eine bessere Vergütung versprechen. Darunter leiden das freiwillige Engagement und die Zusammenarbeit im Unternehmen ebenso wie die Work-Life-Balance. So zeigen etwa Pfeffer/DeVoe (2009), dass Menschen auch in der Freizeit ihre Opportunitätskosten abwägen, weil sie am Arbeitsplatz gewohnt sind, in verrechenbaren Stunden zu denken. In der Folge sinkt auch die Lebenszufriedenheit, weil sie zu wenig Zeit für Freunde und Familie aufwenden.

Eine solche Aufmerksamkeitsverschiebung kann – in einer Art Dominoreaktion – dazu führen, dass die kognitiven Ressourcen von Mitarbeitenden derart aufgebraucht werden, so dass anstatt eines Leistungsschubes eine Leistungsabnahme erfolgt. Man kennt dieses Phänomen, das im Leistungssport häufig beobachtet wurde, auch als „choking under pressure“. Es beschreibt einen Zustand, bei dem sich das Leistungsniveau eines Sportlers nicht abrufen lässt, trotz eines hohen Anreizes wie z. B. während eines Wettkampfes. Diese Leistungsabnahme unter Druck ist auf komplexe Prozesse in unserem Arbeitsgedächtnis zurückzuführen (für eine Übersicht vgl. Beilock, 2011). Leistungsabnahme unter Druck greift auch im Arbeitskontext: Leistungsvariable Vergütung setzt Mitarbeitende unter Leistungsdruck; wird dieser zu hoch, leidet die Leistung. Insbesondere bei sehr hohen Leistungsprämien steigt die Gefahr, dass es zu einer Leistungsabnahme unter Druck kommt. Solche Prämien können dazu führen, dass sich die Mitarbeitenden weniger auf die Erfüllung ihrer Aufgabe, sondern mehr auf das Erreichen der Leistungsprämie konzentrieren. Die kognitive Fixierung auf die Leistungsprämie kann zu einer einseitigen kognitiven Belastung bis hin zu einer Blockade unseres Arbeitsgedächtnisses führen. Das Ergebnis: Der erhoffte Leistungsschub sinkt auf ein suboptimales Niveau – anstatt einer Leistungszunahme erleben die Betroffenen eine -abnahme.

Extrinsische Belohnung wie hohe leistungsvariable Prämien können zudem Fehlverhalten anspornen. Die Gefahr von Fehlverhalten am Arbeitsplatz ist eine gut untersuchte Folge finanzieller Anreize. Fehlverhalten kann dabei verschiedene Ausprägungen annehmen: Entstehen einer zu hohen Risikobereitschaft, Selbstüberschätzung und Hybris, unethische Manipulationen und aktives Austricksen des Vergütungssystems zum eigenen Nutzen (vgl. z. B. Greve et al., 2010, S. 61). Ein bekanntes Beispiel dafür, wie hohe Leistungsprämien zu einem übersteigerten Risikoverhalten führen, ist Enron. Enron sorgte bereits vor vielen Jahren in der Finanzwelt für Wirbel. Das Unternehmen folgte dem Leitspruch „the smartest guys in the room“. Jeder konnte bei Enron als Händler einsteigen, solange er mit einer kreativen und bahnbrechenden Geschäftsidee kam und im internen Wettbewerb die Kollegen übertraf. Erfolg wurde mit einem schnellen Aufstieg, aber insbesondere auch mit sehr hohen Boni „vergoldet“. Trader bei Enron erzielten hohe Gewinne – auf dem Papier für die Bilanz, aber auch fürs eigene Scheckheft, indem sie den Handel manipulierten und vorzeitige, hypothetische Gewinne verbuchten (vgl. z.B. Spector, 2004, S. 8 ff.). Ein weiteres gut dokumentiertes Beispiel für unethisches Austricksen findet sich im Gaming-Verhalten.

Beispiel: Gaming

Ein Skandal erschütterte 1992 die kalifornische Öffentlichkeit: Die Autogaragen von Sears hatten im großen Stil die eigenen Kunden betrogen. In einer verdeckten Untersuchung war aufgeflogen, dass die Garagen in 90 % aller untersuchten Fälle unnötige Reparaturen verrechneten. Der Hintergrund: Am 1. Januar 1991 wurde das Fixlohnsystem ersetzt. Im Laufe der Untersuchung stellte sich heraus, dass das neue variable Lohnsystem des Unternehmens Hauptverursacher des massenhaften Betrugs war. Nach dem neuen Lohnsystem verdiente ein Mechaniker pro Stunde nur noch 3.25 Dollar, noch ungefähr 17 % des vorherigen Fixgehaltes; 83 % hingen fortan davon ab, wie viele Batterien ausgewechselt oder Reifen verkauft wurden. In der Not kamen findige Angestellte auf die Idee, nicht nur unnötige Reparaturen zu verkaufen, sondern auch durch „vorbeugende Maßnahmen“ baldige neue Reparaturen nötig werden zu lassen (vgl. z.B. Pfeffer, 1998, S. 115).

5. Leistungsvariable Vergütung und Motivation

Leistungsvariable Vergütung wirkt sich zudem nicht auf jede Form der Motivation positiv aus. Unter den beiden Arten der Motivation – intrinsische und extrinsische – ist Letztere auf von außerhalb der Person kommende Anreize gerichtet (z. B. Belohnung oder Bestrafung). Diese ermöglichen eine mittelbare Bedürfnisbefriedigung, vor allem durch Geld. Intrinsische Motivation ist hingegen auf die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung gerichtet, d. h., auf Aktivitäten, die um ihrer selbst willen ausgeführt werden. Tätigkeiten, die uns die Möglichkeit geben, eigenständig Entscheidungen zu treffen (Selbstbestimmung), sich fachlich (Kompetenzerleben) und sozial (Zugehörigkeitsempfinden) in einem Unternehmen einzubringen, sind die treibenden Kräfte intrinsischer Motivation. Sind diese drei Bedingungen erfüllt, verspüren wir Freude an unserer Tätigkeit und gehen in ihr auf (vgl. z. B. Deci et al., 2017, S. 21).

Die Unterscheidung in extrinsische und intrinsische Motivation ist zentral. Zum einen, weil es Tätigkeiten gibt, die sich nicht präzise messen und damit auch nicht punktgenau vergüten lassen (siehe Multi-Task-Problem, Kapitel 3). Dazu zählen z. B. kreative Tätigkeiten oder Tätigkeiten, die ein authentisches Auftreten und Empathie erfordern. Zum anderen wird argumentiert, dass intrinsische Motivation eine andere Qualität hat: Sie ist nachhaltiger, weil der Antrieb von innen kommt und nicht eines ständigen „Nachfeuerns“ bedarf. Zudem ist intrinsische Motivation mit positiven psychologischen Zuständen wie etwa Glücksgefühlen, Spaß und emotionaler Bindung verbunden. Diese positiven Zustände beeinflussen unsere Gehirntätigkeit. So zeigt die Forschung, dass positive Zustände zu mehr Offenheit und größerer Kreativität führen (vgl. Fredrickson/Branigan, 2005, S. 324). Mit anderen Worten: Wir möchten im Unternehmen nicht auf intrinsische Motivation verzichten.

Empirische Studien und Meta-Analysen lassen den Schluss zu, dass leistungsvariable Vergütung die intrinsische Motivation mindert. Der negative Effekt leistungsvariabler Vergütung auf die intrinsische Motivation wird als Verdrängungseffekt bezeichnet. Er besagt, dass extrinsische und intrinsische Motivation sich nicht addieren lassen, sondern extrinsische Anreize die intrinsische Motivation vielmehr zerstören können (vgl. Frey/Oberholzer-Gee, 1997, S. 746).

Die Verwendung zusätzlicher Anreize wie etwa Boni bei Tätigkeiten, die durch die Tätigkeit selbst bereits intrinsisch motivieren, erhöht die Gefahr der Überlagerung intrinsischer Motivation durch extrinsische Anreize: Die Mitarbeiter denken an die „Karotte“ statt an die Aufgabe. Meta-Analysen belegen, dass ein solcher negativer Zusammenhang insbesondere für individuelle, monetäre und an Zielvereinbarungen (ex-ante) geknüpfte variable Vergütung besteht (vgl. z. B. Deci et al., 1999, S. 643 ff.). Ein Großteil der Forschung geht davon aus, dass es im Wesentlichen die kontrollierende und disziplinierende Wirkung von leistungsvariabler Vergütung ist, die den Verdrängungseffekt auslöst (vgl. z. B. Weibel et al., 2007, S. 8 f.). Leistungsvariable Vergütung ist also kein besonders gutes Instrument, um intrinsische Motivation zu fördern.

Beispiel: Verdrängungseffekt

Die Ökonomen Uri Gneezy und Aldo Rustichini (2000) führten ein Feldexperiment mit 180 Oberstufenschülerinnen und -schülern in Israel durch. An einem in Israel üblichen „Spendentag“, stellten sie den Schülern die Aufgabe, Spenden für die Krebshilfe zu sammeln. Dabei wurden drei Gruppen gebildet. Die erste Schülergruppe wurde nicht für das Spendensammeln belohnt, die zweite Gruppe sollte einen Anteil von 1 % und die dritte einen Anteil von 10 % von der gesammelten Spendensumme erhalten. Das Ergebnis: Schüler, die eine 1 %-Ausschüttung erhalten sollten, sammelten mit rund 154 NIS (Neue Israelische Schekel) am wenigsten Spendengelder ein. Auf dem zweiten Platz landeten diejenigen, denen 10 % versprochen wurde. Sie sammelten rund 219 NIS. Eindrücklich an der Studie war allerdings das Ergebnis der Schüler und Schülerinnen, die keine finanzielle Belohnung erhielten. Diese schnitten nämlich mit 238,7 NIS am besten ab (vgl. Gneezy/Rustichini, 2000, S. 799 f.). Wie kam es dazu, dass die beiden finanziell incentivierten Schülergruppen weniger Spendeneinnahmen generierten?  Das Sammeln von Spenden ist eine karitative, durch innere Werte motivierte Tätigkeit. Wenn diese Tätigkeit incentiviert wird, weicht der innere Antrieb dem extrinsischen Anreiz und führt so zu einer Leistungsabnahme.

Weniger untersucht sind die Spillover-Effekte, negative Nebenwirkungen leistungsvariabler Vergütung, die vermutlich durch die Verdrängung der intrinsischen Motivation begünstigt werden. Aktuelle Forschungserkenntnisse zeigen: Extrinsisch motivierte Mitarbeitende haben eine signifikant geringere Bereitschaft, sich für das Unternehmen einzusetzen und die Extra-Meile zu gehen. Sie fühlen sich gestresster, sind weniger glücklich mit ihrer Arbeit und laufen stärker Gefahr, auszubrennen (vgl. z. B. Kuvaas et al., 2017, S. 253 f.). Auch der Zusammenhalt im Team und die Bindung an das Unternehmen leiden. Extrinsisch motivierte Mitarbeitende fühlen sich bspw. emotional weniger an das Unternehmen gebunden, hegen stärkere Kündigungsabsichten (vgl. z. B. Gagné et al., 2010, S. 637 f.; Kuvaas et al., 2017, S. 253 f.). Sie neigen darüber hinaus eher dazu, „das Schiff zu verlassen“, insbesondere dann, wenn irgendwo ein besser bezahltes Arbeitsangebot lockt (Söldnereffekt). Auch sind extrinsisch motivierte Mitarbeitende schlechtere Teamplayer, da extrinsische Anreize die Ellenbogenmentalität fördern. Die Folge ist, dass der soziale Zusammenhalt und der Team-Spirit leiden (vgl. z. B. Burks et al., 2009, S. 466).

Abb2

6. Fazit und Implikationen

Leistungsvariable Vergütung kann sich positiv auswirken: Forschungsergebnisse zeigen ihr Potenzial, die Mitarbeiterproduktivität bei langweiligen und einfachen Tätigkeiten zu erhöhen. Bei komplexeren, kreativen und teambasierten Tätigkeiten, die das moderne Arbeitsleben zunehmend prägen, ist hingegen davon abzuraten. Insbesondere die monetäre, an ex-ante- und individuelle Kriterien geknüpfte leistungsvariable Vergütung ist mit gewichtigen Nachteilen verbunden. Je interessanter und komplexer eine Aufgabenstellung ist bzw. wahrgenommen wird, desto markanter zeigen sich die Schattenseiten. Anstatt der erhofften Leistungszunahme führt diese Vergütungsform (neben den anderen besprochenen Konsequenzen) zur Verdrängung intrinsischer Motivation. Wissenschaftlich belegt ist, dass viele wünschenswerte Verhaltensweisen und Einstellungen am Arbeitsplatz sich nur bedingt mit der „Karotte“ steuern lassen (vgl. Abb. 2). Für einige von ihnen wie bspw. intrinsische Motivation, Wohlbefinden und Zugehörigkeitsgefühl können extrinsische Anreize sogar schädlich sein.

Was wäre denn der Gegenentwurf? Von zentraler Bedeutung ist es, die Bedingungen für die Entstehung intrinsischer Motivation zu schaffen: Wenn Arbeitsprozesse Herausforderungen und Abwechslung bereithalten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Fortschritte sehen und Sinnhaftigkeit spüren, schafft die Arbeit selbst die Motivation. Die Förderung intrinsischer Motivation ist zudem eine Führungsaufgabe: Es gilt, Vertrauen zu schenken, Begeisterung für gemeinsame Ziele zu wecken und Mitarbeiter- und Teamentwicklung zu fördern. Denn Motivation alleine nützt nichts, die Mitarbeitenden müssen befähigt werden, ihre intrinsische Motivation am Arbeitsplatz zu leben. Das bedeutet nicht nur mehr Autonomie und Selbstbestimmung, sondern auch mehr Lernmöglichkeiten und mehr Investitionen in Personalentwicklung. Ebenso zentral ist auch lernorientiertes Feedback durch Vorgesetzte. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass intrinsische Motivation ausschließlich mit positiven „Nebenwirkungen“ einhergeht. Menschen mit hoher intrinsischer Motivation sind kreativer, gesünder und fühlen sich dem Arbeitgeber auch emotional verbunden.

Zentrale Aussagen:

  • Leistungsvariable Vergütung verbessert die Mitarbeiterleistung, wenn es sich um einfache, gut messbare und eher langweilige Tätigkeiten handelt.
  • Leistungsvariable Vergütung wirkt sich negativ auf die Leistung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus, wenn sie für interessante, intrinsisch motivierende Tätigkeiten angewendet wird.
  • Leistungsvariable Vergütung schafft Fehlanreize, führt zu einer Söldner- statt einer unternehmenspatriotischen Mentalität, begünstigt unerwünschte Fluktuation und die Gefahr, auszubrennen.

Implikationen für die Praxis:

  • Bei komplexen, kreativen und teambasierten Tätigkeiten ist von leistungsvariabler Vergütung abzuraten.
  • Anstatt auf monetäre, ex-ante- und individuelle Vergütung zu setzen, sollten die Bedingungen für die Entstehung intrinsischer Motivation verbessert
  • Dies gelingt durch herausfordernde und abwechslungsreiche Tätigkeiten, vertrauensbasierte Führungskultur und Unternehmensstrukturen, die das Lernen und die Kompetenzentwicklung fördern.
Autorinnen:
Prof. Dr. Antoinette Weibel ist Ordinaria für Personalmanagement an der Universität St. Gallen und Direktorin am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten.
Anastasia Sapegina ist wissenschaftliche Assistentin und Doktorandin am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten der Universität St. Gallen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in: Zeitschrift für Controlling, Ausgabe 02/2019

Über die Autorin / den Autor

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Prof. Dr. Antoinette Weibel Professorin für Personalmanagement

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