LearnTEC ist die älteste und grösste digitale Lernmesse in Europa. Seit 1992 werden dort die aktuellen E-Learning-Trends präsentiert. Ich besuchte 2018 die zum 26. Mal stattfindende Messe und stelle hier einige meiner Tipps für die Weiterbildung und digitale Transformation im Allgemeinen vor.

Eine visuelle Welt

Ein unbestreitbarer Trend ist, dass die Digitalisierung zunehmend zu einer visuellen Angelegenheit wird. Zunächst verbreitete das Internet geschriebene Informationen, dann kamen in den darauffolgenden Jahren ein paar Bilder hinzu, und dann folgten die sozialen Medien mit Facebook-Posts und Kurznachrichten auf Twitter. Schliesslich eroberten Videos und Bilder sowohl die Designs von Webseiten als auch Social-Media-Formate mit dem Aufstieg von Instagram und Snapchat. Während wir uns früher über Google informierten, hat Youtube inzwischen Videos, die über jedes Thema unterrichten oder erklären, wie man etwas baut.

Deutlich herausgestellt wurde dieser Trend in der LearnTEC2018-Diskussion, die sich mit Videos, Videoproduktion, Augmented und Virtual Reality sowie der Verbesserung von E-Learning-Inhalten, die diese Elemente enthalten, befasste. Gehen wir diese Themen eines nach dem anderen durch.

Mixed Reality: die Reifung

Die Forum-Moderatoren erklärten den Teilnehmenden das Konzept der Mixed Reality, dem Raum zwischen der realen und der digitalen Welt. Dieser Sammelbegriff enthält sowohl AR (Augmented Reality) als auch VR (Virtual Reality), beides Schattierungen im grossen Spektrum zwischen realen und digitalen Realitäten. Laut dieser Definition steht AR der physischen Realität näher und erweitert diese durch das Hinzufügen digitaler Komponenten zur Benutzererfahrung, z.B. durch Objekte, die durch Microsofts HoloLens gesehen werden und mit denen interagiert wird. Virtual-Reality-Brillen versetzen Menschen in eine fast vollständig digitale Realität, in der das physische Element die Möglichkeit ist, mit dem grössten Teil des eigenen Körpers zu interagieren, was im Gegensatz zu einer einfachen Interaktion mit Bildschirm und Tastatur steht.

Auf der Messe wurde deutlich, dass die Begriffe AR und VR von vielen Teilnehmern synonym verwendet wurden, die mit der obigen Unterscheidung nicht vertraut waren. Die Unterscheidung ist jedoch wichtig, um die Diskussion über Anwendungsfälle zu erleichtern. Der Gartner Hype Cycle von 2017 positioniert AR im Tal der Enttäuschungen (trough of disillusionment), während VR den Pfad der Erleuchtung (slope of enlightment) erreichen soll. Diese Tendenz wird auf der Messe bestätigt, da VR-Anwendungen bei neuen Angeboten häufiger sind, während AR eine Nische ist, die es noch zu füllen gilt. Ich habe den Eindruck bekommen, dass diese Technologien seit Mitte 2017 grosse Fortschritte gemacht haben. Es ist davon auszugehen, dass sie verstärkt in der Aus- und Weiterbildung zum Einsatz kommen werden, und zwar nicht nur dort, wo der mechanische/visuelle Bedarf hoch ist (wie in der Medizin oder im Ingenieurwesen), sondern auch im Bereich der Soft Skills. Ein Beispiel hierfür wäre die Verwendung von VR-Brillen, um immersive Bedingungen zu simulieren, bei denen man jemanden entlassen muss oder selbst entlassen wird.

Videos: Lean Back vs. Lean Forward: Haltungen und Qualitätserwartungen

Angesichts der Tatsache, dass heute jedermann Videos produziert, erhielten die Diskussionen über die Verbesserung der Erstellung von Videoinhalten besondere Beachtung. In einer Konferenztagung über Best Practices hat Prof. Dr. Jürgen Seitz darüber gesprochen, wie wichtig es ist, sein Video auf die Publikumshaltung abzustimmen. Damit meinte er den Unterschied zwischen der Lean-Forward-Haltung, einer proaktiven Einstellung nach dem Motto «ich brauche eine Antwort», und der Lean-Back-Haltung, also «bitte unterhalte mich». Dieser Unterschied ist entscheidend für die individuelle Beurteilung der Nützlichkeit oder des Werts eines Videos. Menschen in einer Lean-Forward-Stimmung ist es egal, ob das, was sie auf Youtube sehen, eine schlechte Auflösung oder eine schlechte Tonqualität hat, solange es direkt zum Punkt kommt und eine Antwort auf ihr unmittelbares Problem gibt, sei es das Reparieren einer Software-Codezeile oder das Aufbauen eines IKEA-Kleiderschranks. Wenn dagegen Videos an Menschen ohne ein unmittelbares Bedürfnis ausgestrahlt werden, wie es oft im Unterricht sowohl online als auch lokal der Fall ist, nehmen diese die Lean-Back-Haltung ein und ihre Qualitätserwartungen schiessen in die Höhe. Die Menschen wollen unterhalten werden und vergleichen das Video mit einem Storytelling und einer Bildqualität wie man sie aus dem Kino kennt.

Prof. Dr. Jürgen Seitz wies darauf hin, dass heute selbst die bescheidensten Youtube-Blogger ihre Videos mit hochwertiger Kamera- und Tonaufnahmeausrüstung produzieren, wogegen an Universitäten häufig der Fehler gemacht wird, mit einer einfachen, per Smartphone aufgenommenen Vorlesung die Erwartungen der Studierenden erfüllen zu wollen, was zum Scheitern verurteilt ist. «Niemand will Laientheater», sagte er. Daher sollten Lehrkräfte der Erstellung von Videos besondere Aufmerksamkeit schenken und entweder qualitativ hochwertige Inhalte produzieren und/oder versuchen, das Publikum mit Storytelling zu einer Lean-Forward-Haltung zu bringen, um dessen Erwartungen an die Darstellung zu senken.

Fazit

Ich würde einen Besuch dieser Messe sowohl (höheren) Bildungseinrichtungen als auch Unternehmensleitern empfehlen, die sich mit Innovationsprojekten oder digitalen Transformationsprojekten beschäftigen. Es wurde deutlich, dass sich vieles in der Art ändert, wie Menschen lernen und wie oder wo sie nach Informationen suchen. Es ist nun an den Unternehmen, gegenüber diesen neuen Methoden eine Lean-Forward-Haltung einzunehmen.

Über die Autorin / den Autor

Portrait Julio Prina 341

Julio Prina Technology & Innovation Manager

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