Der klassische Rekrutierungsprozess ist zeitaufwändig und kann sich über Monate hinziehen. Bewerbungen müssen zuerst gesichtet und ausgewertet werden. Es folgen persönliche Gespräche. Dass es auch schneller gehen kann, zeigen verschiedene Online-Tools. Die HR-Verantwortlichen geben das Anforderungsprofil in Matching-Plattformen ein und diese finden in kürzester Zeit geeignete Kandidat*innen. Die ausgewählten Personen erhalten automatische Einladungen z.B. für ein erstes Videointerview. Viele Unternehmen setzen bereits auf Online-Bewerbungstools. Die künstliche Intelligenz aber wird bis jetzt weniger häufig eingesetzt. Im Anschluss an die Online-Bewerbungen können Programme die Daten scannen und z.B. Ausbildung oder Werdegang gewichten. Der Algorithmus erstellt dann eine Shortlist und schlägt die Bewerbenden den Recruitern vor. Die Rekrutierungszeit aber auch der personelle Aufwand kann so massiv verkleinert werden. Ausserdem können sich die Personalverantwortlichen in dieser Zeit auf andere Dinge konzentrieren, z.B. auf die finalen Interviews.

Aber nicht nur die Zeit- und Personalersparnis spricht für die künstliche Intelligenz, denn Rechner sind grundsätzlich «neutral» also emotionslos und vorurteilsfrei. Doch hier ist auch gleichzeitig der Haken. Alle Programme müssen auch in naher Zukunft vom Menschen programmiert werden, der wiederum nicht vorurteilsfrei ist. Ausserdem benötigt jede künstliche Intelligenz eine Datengrundlage, von der sie lernen und Entscheidungen ableiten kann. Als Grundlage dienen bestehende Mitarbeitende oder Bewerbungsdossiers. Wurden in der Vergangenheit für eine höhere Führungsposition vorwiegend Männer eingestellt, lernt dies das System als positives Selektionskriterium. Es wird nun für Führungspositionen auch vermehrt Männer vorschlagen. Die Maschine lernt also und je nach Programmierung «verschlimmert» der Algorithmus in Richtung verstärkter Stereotype. Das würde dann mittelfristig zu einer noch ausgeprägteren beruflichen Segregation des Arbeitsmarkts und de facto verschärfter Chancenungleichheit führen.

Ein weiterer auf den ersten Blick nicht ersichtlicher Nachteil künstlicher Intelligenz im Rekrutierungsverfahren ist, dass nur Personen vorgeschlagen werden, die mit ihrem Profil online auffindbar sind. Ausserdem werden veraltete Begriffe z.B. im Zusammenhang mit einer länger zurückliegenden Ausbildung oder einer Stellenbezeichnung oft nicht erkannt. Wiedereinsteiger*innen oder Personen mit nicht-gradlinigen Karrieren werden so oft nicht berücksichtigt, obwohl sie von ihrer Qualifikation vielleicht auf eine Stelle passen würden.

Wie finden Sie nun die richtigen Talente für Ihr Unternehmen? Zentral ist, dass die HR-Verantwortlichen die einzelnen Schritte im Rekrutierungsprozess genau anschauen und sich aus einer Diversity-Perspektive überlegen, bei welchen Prozessschritten der Einsatz von künstlicher Intelligenz sinnvoll ist und wo die Erfahrung von Rekrutierungsexperten/innen überlegen ist. Wenn Sie eine vielfältigere Belegschaft möchten, können Sie z.B. die Tools so anpassen, dass dem Kriterium «Diversität» Rechnung getragen wird. Erweitern Sie das Kriterium «Ausbildung» (z.B. statt nur Maschinenbau auch andere technische Ausbildungen) oder Erfahrungsjahre. Wie wirken sich solche Anpassungen auf die Bewerbungen aus? Sie können so Erfahrungen sammeln und der Rekrutierungsprozess wird qualitativ besser. Es bleibt weiterhin wichtig, dass die HR- und Linienverantwortlichen den finalen Entscheid fällen, den Prozess aber mit künstlicher Intelligenz unterstützen, um so die Effizienz zu steigern.

Deshalb: Eine Kombination von Mensch und Maschine wird wichtig sein, wenn Rekrutierungsprozesse zu mehr Diversity & Inclusion in Unternehmen beitragen sollen.

Möchten Sie eine D&I-Strategie erarbeiten? Jetzt hier mehr erfahren!

Über die Autorin / den Autor

Portrait Gudrun Sander 246

Prof. Dr. Gudrun Sander Director Competence Centre for Diversity and Inclusion

Newsletter

Die neusten Beiträge direkt ins Postfach.

Newsletter [DE]

Beitrag teilen

Weitere Beiträge

  • Future of Work und die Rolle von Diversity, Equity & Inclusion

  • Leadership im Umbruch: Fünf Trends einer modernen Führung

  • Ist die Zukunft der Arbeit auch für den Rechtsmarkt relevant?

  • Warum inklusive Führung für alle Generationen wichtig ist

  • Brauchen junge Jurist:innen auch Leadership? Einteilung nach Generationen – etwas willkürlich, aber nützlich